Der Wahnsinn kennt kein Ende

von Redaktion

Musiker und Kabarettist Georg Ringsgwandl wird 75 und feiert auf der Bühne

Es liegt eine Menge Leben zwischen dem ersten Auftritt, bei dem Georg Ringsgwandl als Bub für sein virtuoses Zitherspiel eine Wiener Wurst als Gage bekam, und seinem Konzert im Münchner Residenztheater am morgigen Mittwoch. Kein gewöhnlicher Mittwoch übrigens. Es ist Ringsgwandls 75. Geburtstag, und der Musiker, Kabarettist, Theatermacher und Schriftsteller feiert ihn auf der Bühne. Sein Spektakel „Arge Disco“ streift die schrillen Jahre, als der bayerische Ausnahmekünstler in orangeroten Leggings mit lila Badeanzug wie ein Wahnsinniger über Kleinkunstbühnen tobte, die Haare zu Berge gestellt, das Gesicht grell geschminkt. Es gibt aber auch neue Songs, mit denen der Abend im Hier und Heute landet. „Lieder, die auf ein Album gehören, das längst schon fertig sein sollte“, seufzt Ringsgwandl mit einem Unterton, als habe er seit 14 Tagen vergessen, die Spülmaschine auszuräumen. Dabei kann man ihm Untätigkeit wahrlich nicht vorwerfen. Vor Kurzem hat er seinen ersten Roman herausgebracht (siehe Buch-Tipp links), seit Wochen tourt er durch Deutschland. Und trotzdem nimmt er sich Zeit für Kaffee, Rohrnudel und ein ausführliches Geburtstagsinterview.

Sie haben 20 Jahre als Arzt gearbeitet und einige davon parallel als Musiker auf der Bühne gestanden. Der Kardiologe in Ihnen muss sich doch beim Lebenswandel des Künstlers die Haare gerauft haben…

Das ist ein sensibler Punkt, weil ich tatsächlich kein Vorbild in ausgeglichener Lebensführung bin. Auf der anderen Seite weiß ich als Arzt, dass das ruhige Leben nicht vor hässlichen Krankheiten schützt. Die Doktors meinen ja immer, dass sie dank statistischer Untersuchungen wüssten, was man tun muss, um alt zu werden. Da stützen sie sich aber auf Wahrscheinlichkeiten, die auch in der Realität nur Wahrscheinlichkeiten und leider keine Garantien sind.

Wer Ihren ersten Roman „Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris“ liest, erfährt viel Amüsantes über die frühen Jahre Ihrer Karriere und wird den Verdacht nicht los, dass die Doris nur ein erzählerisches Konstrukt ist.

(Lacht.) Nein! Die gab’s tatsächlich, und wir haben viele Jahre zusammen verbracht. Eine bemerkenswerte Person mit einer nicht so gemütlichen Kindheit. Nach der Trennung der Eltern hat sie mit ihrer Mutter unter jämmerlichen Umständen in einem Gartenhäusl gehaust und kam als Babysitterin in unsere Familie. Die Doris hat sich überall eingefügt, als wäre sie immer schon da gewesen. Sie hat erst Platten auf unseren Touren verkauft und mit der Zeit dann das Organisatorische übernommen. Erst viel später, als sie sich bereits ins Ausland abgesetzt hatte, habe ich ihr Tour-Tagebuch auf meinem alten Laptop gefunden.

Darin kamen Sie nicht immer gut weg.

Das sollte ja auch keine Lobeshymne auf mich werden. Ich habe viel reduziert, rausgestrichen, kondensiert und um meine Erinnerungen ergänzt. Die Doris war schon manchmal recht sauer, weil ich zum Teil ein launischer und schwer aushaltbarer Typ war. Aber natürlich stand ich damals auch unter enormer Anspannung – mit der Familie, dem Job in der Klinik, den Bühnenauftritten. Oft bin ich am Rand des Machbaren entlanggeschrammt. Und das hat bei meiner schlechten Kinderstube dazu geführt, dass wilde Sachen rauskamen.

Geblieben sind sehr lustige Erzählungen über Auftritte in fiesen Absteigen mit noch fieseren Veranstaltern. Konnten Sie das schon früher mit Humor nehmen?

Überhaupt nicht! Diese Touren waren von Triumphzügen weit entfernt. Wenn man an einem verregneten Dienstag irgendwo in Niederbayern oder der Oberpfalz in einer miesen Pension mit einem grausigen Frühstück aufwacht, dann kann man leicht schwermütig werden. Andererseits helfen einem diese Erfahrungen auch im Showgeschäft zu überleben. Das Publikum sieht ja nur ein paradiesisches Reich aus unendlicher Verehrung, Applaus, Geld und Kunst – und das ist es auch. (Lacht.) Aber leider nur zu zwei Prozent, der Rest ist knochenharte Arbeit.

Woher nimmt man dann den Optimismus weiterzumachen, wenn’s mies läuft?

Das frage ich mich auch. Es gab Zeiten, in denen ich das Gefühl hatte, dass alles, was ich in meinem Leben gemacht habe, kompletter Schrott ist. Billiges, windiges Zeug, das keinen Schwanz interessiert. Ich habe eine Neigung zu depressiven Hängern.

Und wie rappeln Sie sich wieder auf?

Indem ich mich hinsetze und alles aufschreibe, was so furchtbar ist und worunter ich leide. Bei zwei Dritteln wechselt der Text dann ins Komische, und ich stelle fest, dass da ein wehleidiges, empfindliches Bübchen spricht, das ein Leben von einer unglaublichen Privilegiertheit führen darf.

Was nehmen Sie aus diesen melancholischen Phasen noch mit?

Die schönsten Songs. Stücke, die bleiben, kommen nicht aus dem Gefühl der Überlegenheit, sondern entstehen aus Zweifeln und dem Wissen, wie löchrig unsere Existenz ist. Für mich muss es in der Musik, aber auch im Theater bei allem Witz und aller Leichtigkeit auch immer eine Ahnung geben, dass diese Dinge nur gemacht werden, um diesen Kosmos aus Unglück und Grausamkeit, in dem wir leben, erträglich zu machen.

Wenn Sie heute auf den jungen Ringsgwandl zurückblicken – wie haben Sie sich im Laufe der Jahre verändert?

Im Alter sind meine Zornesausbrüche sehr selten geworden. Wenn man in die Jahre kommt, ist diese rebellische Attitüde nicht mehr tragbar, mit der man sich über die vielen Arschlöcher, die es auf der Welt gibt, erhitzt. Wenn einer mit 75 noch so tut, als wäre er ein total wilder Revoluzzer oder Zertrümmerer von Konventionen, dann denke ich, dass der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.

Also regiert heute weniger der Wahnsinn und mehr das Genie?

Man kann sagen, Michelangelo, Picasso und Mozart sind Genies – okay. Aber darüber hinaus ist das ein Begriff, mit dem ich nichts zu tun haben will. An dieser Ecke schleicht sich Eitelkeit ein, und das ist immer schlecht.

Und was ist gut?

Dass es kein Alter gibt in dem die Gewerkschaft sagt: So, jetzt gehst du in Rente, machst Kreuzfahrten oder fährst mit dem Wohnmobil spazieren. Ich kann den Wahnsinn so lange betreiben, wie ich Spaß dran habe. Natürlich ist alles endlich. Es ist vorbei, wenn ich schwer krank werde, sterbe oder sich keiner mehr für meine Kunst interessiert. Dann ist es rum.

Das Gespräch führte Astrid Kistner.

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