Trauer für Fortgeschrittene

von Redaktion

Christian Tetzlaff und David Afkham beim BR-Symphonieorchester

VON MARKUS THIEL

Den „Wozzeck“ gibt es von ihm, die „Lulu“, die „Sieben frühen Lieder“, auch andere wenige Lyrik-Vertonungen. Kein Mensch konnte ahnen, dass zu Alban Bergs Vokalwerken nun auch das Violinkonzert zu zählen ist. Vorausgesetzt, man spielt es so wie Christian Tetzlaff im Herkulessaal. Der scheint sich wenig um die Scharnierfunktion des Stücks zwischen Spätestromantik und Zwölfton-Moderne zu scheren. Tetzlaff gelingt Verblüffendes: Er empfindet den Zweiteiler aus dem Geist der historischen Aufführungspraxis.

Und das mit enormer Flexibilität im Vibrato-Einsatz (das er oft weglässt), mit einer wie ansatzlosen Formung der Töne, die auch in Extremlagen Raum haben. Mit stufenlos pegelbarem Druck, einer feinen Farblasur, besonders aber mit einer sprechenden Agogik – ein Monolog ohne Worte. Tetzlaff bleibt auch in dramatischen Passagen ganz Lyriker – eine exemplarische Interpretation, vom BR-Symphonieorchester unter David Afkham behutsam ummäntelt.

Zu Bergs so „redendem“ Violinkonzert gesellt sich noch Anton Weberns Passacaglia und die vierte Symphonie von Franz Schmidt. Ein klug konzipiertes Programm, das – dies sei eingestanden – nicht gerade zum Straßenfeger taugt. Die herbstlaubfarbenen Werke formieren sich zur Trauerarbeit für Fortgeschrittene. Alle sind sie aus Zwischenwelten, blicken wehmütig zurück – auf persönliche Verluste oder auf eine untergehende Epoche.

Afkham gibt bei seinem BR-Debüt in Weberns Passacaglia nicht den Anheizer, lässt sich nicht von der großen Besetzung verführen, auch wenn er ein, zwei drastische Stellen gestattet.

Ähnliches in der Vierten von Schmidt, die erstmals vom Orchester gespielt wird. Der Neue am Pult ist ein freundlicher, geschmeidiger, manchmal distanzierter Gestalter. Tempo-Übergänge und Wechsel von Aggregatzuständen werden organisch entwickelt. Nicht alles ist optimal abgemischt, dies bessert sich im Laufe der Dreiviertelstunde. Afkham hört aufs Orchester und nimmt die Angebote auf. In diesem Fall eine akzeptable Haltung – bei Edel-Solisten wie Trompeter Johannes Moritz oder Hornist Pascal Deuber.

Artikel 1 von 11