Der dreibeinige Hund

von Redaktion

Neu aufgelegt: das letzte Karriere-Drittel der Rockstars R.E.M.

VON JOHANNES LÖHR

Für Rock-Superstars machten R.E.M. sich das Leben ganz schön schwer. Denn im Grunde startete die Band aus Athens, Georgia, ihre Karriere zwei Mal komplett neu. Das erste Mal freiwillig, als die Untergrund-Lieblinge Ende der Achtziger bewusst den Weg in den Mainstream suchten und schroffe College-Rock-Klänge gegen pastoralen Pop tauschten. Das zweite Mal gezwungenermaßen, als sie sich zur erfolgreichsten Band der Welt aufgeschwungen hatten (neben U2) – dann aber ihren Schlagzeuger verloren. Bill Berry war ein so integraler Bestandteil des Quartetts gewesen, dass Sänger Michael Stipe sagte, R.E.M. fühlten sich nach Berrys freiwilligem Abgang wie ein dreibeiniger Hund, der erst mal neu laufen lernen müsse.

Das dritte Karrieredrittel ist denn auch das schwierigste – und gerade dieses ist nun Teil einer Veröffentlichungsoffensive der Firma Universal, die die fünf Platten von 1998 bis 2011 auf verschiedenen Formaten wieder herausgebracht hat. Vielleicht war Stipes Bonmot mit dem behinderten Hund nicht gerade förderlich, jedenfalls floppte „Up“ 1998 ziemlich – dabei ist es ein ambitioniertes Album, eines der besten der Band. Irgendwie nahm man ihr die neue Nähe zu Radiohead übel, also: den Hang zum Experiment.

Erstmals klingelten hier überwiegend nicht Peter Bucks Gitarren, es gab Geräusche, Drumcomputer, Synthesizer. Doch die Songs sind gut gealtert – allen voran das Liebeslied „At my most beautiful“, eine Beach-Boys-Hommage mit der Qualität der besten Balladen der Originale: Es ist kitschig – aber man fühlt sich Gott näher, wenn man es hört.

Der Wille, mit der hippen Pop-Avantgarde mitzuhalten, sollte in den kommenden Jahren zu recht verkrampften Ergebnissen führen. Zwar sind auf allen Platten feine Stücke – etwa „Imitation of Life“ auf „Reveal“ (2001) oder „Supernatural Superserious“ auf „Accelerate“ (2008). Aber die Orientierung schien verloren. Immerhin: „Collapse into now“ ist 2011 ein würdiger Abschluss, mit Kopfnicken in Richtung Bowie („Überlin“) und Patti Smith als Gast. „Might have made a little less Mess!“, ruft Stipe im kämpferischen Song „Discover“. „But it was what it was.“ Vielleicht wäre etwas weniger Durcheinander schön gewesen, aber es war, was es war: eine Ausnahmekarriere mit drei Anfängen.

R.E.M.

„Up“

(Universal)

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