Die Hexen von heute

von Redaktion

AUSSTELLUNG Das Museum Fünf Kontinente zeigt „Witches in Exile“ aus Ghana

VON ULRIKE FRICK

Die Suche nach einem Sündenbock, auf den sich zum angeblichen Wohle der Gemeinschaft eine wie auch immer geartete Schuld abladen lässt, hat in allen Völkern eine jahrhundertelange Tradition. Nicht auszurotten ist sie außerdem, wie die Gegenwart zeigt. Die beeindruckende Ausstellung „Witches in Exile“ des Münchner Museum Fünf Kontinente ist somit auch brandaktuell – weit über Ghana hinaus, in dem die gezeigten Fotografien entstanden sind.

Von 2009 bis 2013 bereiste die deutsch-französische Fotokünstlerin Ann-Christine Woehrl das Land im Westen Afrikas. Dabei porträtierte sie Frauen, die wegen angeblicher Hexerei von ihren Familien und aus ihren Dörfern und Lebensgemeinschaften verstoßen wurden. Sie haben in sogenannten „Witch Camps“, eigens entstandenen Asyldörfern fernab von allem, Zuflucht gefunden. Acht dieser Camps gibt es davon heute in ganz Ghana. Einige sehen wie recht solide Dörfer aus, andere erinnern mehr an elende Flüchtlingslager.

Mit ihren großformatigen, dokumentarisch anmutenden Porträts gelingt es Woehrl sehr eindringlich, das Martyrium zu vermitteln, das alle diese Frauen durchlaufen haben. Sie gibt den ernst in die Kamera Blickenden aber auch eine neue, hell leuchtende Würde. Manche sehen einem direkt ins Gesicht. Andere nur noch resigniert zu Boden. Nicht eine lächelt.

Was wenig verwundert, wenn man die kurzen Statements der Gezeichneten neben den jeweiligen Aufnahmen sieht. Manchmal genügt der schlechte Traum eines Nachbarn, um die Angetraute aus dem Dorf zu jagen. Gelegentlich ist es einfach der Neid auf die jüngere Nebenfrau oder die geliebte Großmutter. Meistens aber der Tod oder die schwere Krankheit eines Verwandten. Weil andere Erklärungen fehlen, suchen die Menschen Trost darin, jemandem die Schuld zuweisen zu können. Hat man diesen Sündenbock gefunden und öffentlich abgeurteilt, ist die Ordnung vermeintlich wieder hergestellt.

Leider verschwindet das Phänomen der Hexenjagd nicht, weiß Kurator Stefan Eisenhofer. Im Gegenteil, derzeit ist die Hexenverfolgung in vielen Teilen der Welt wieder sehr präsent. „Es ist keinesfalls nur ein Phänomen bildungsferner Schichten oder nur in ländlichen Gebieten zu finden. Der Glaube an Hexerei ist in Großstädten und in gebildeten Kreisen genauso weit verbreitet.“

Ein Grund für die Konzeption der Schau „Witches“ war der Aufruhr, der in den vergangenen drei Jahren in Ghana in diese Diskussion um Hexerei gekommen war. 2020 wurde eine Neunzigjährige als Hexe öffentlich gelyncht. „Diese Tat war“, so Eisenhofer, „auch für viele Einheimische ein Wendepunkt.“ Man erkannte sowohl die nach wie vor enorme Ausbreitung dieses Aberglaubens als auch, dass dagegen etwas getan werden muss. Der soeben verabschiedete Gesetzesentwurf des ghanaischen Parlaments, der Hexenverfolgung ab sofort unter Strafe stellt, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Doch Eisenhofer schränkt sofort ein: „Gesetzliche Vorgaben und politische Erklärungen sind das eine. Aber die Realität sieht oft ganz anders aus, weil der Glaube an Hexerei tief verwurzelt ist.“

Über 55 Prozent der Bevölkerung im subsaharischen Afrika, lehrt eine Infotafel, sind noch von Magie überzeugt. Unglücksfälle oder wirtschaftliche Misserfolge führen oft zum Überdenken der sozialen Bindungen. Mittels Wahrsagerei oder Orakelsprüchen wird dann meist im nahen Umfeld, in der Familie oder Nachbarschaft, nach einem entsprechenden Sündenbock gesucht. Und immer einer gefunden. „Unser Anliegen war, die Fotografien in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen“, erklärt Eisenhofer.

So gesellen sich zu den beeindruckenden Bildern Ann-Christine Woehrls noch Zeichnungen und eine raumfüllende Multimedia-Installation der Künstlerin Senam Okudzeto. Sie sieht in dem gigantischen, künstlich gestauten Volta-See, der ganz Ghana in eine Süd- und Nordhälfte zerteilt, den Kern allen Übels. Seitdem gibt es den abgehängten Norden und den modernen, wirtschaftlich prosperierenden Südteil am Meer.

Informationen:

Die Ausstellung startet an diesem Freitag und läuft bis 5. Mai 2024; Öffnungszeiten Di. bis So., 9.30 bis 17.30 Uhr; Maximilianstraße 42,

www.museum-fuenf- kontinente.de, Telefon 089/210 13 61 00.

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