Ältere Ballett-Habitués werden sich erinnern: 1994 sah man vom Bayerischen Staatsballett Angelin Preljocajs „Larmes Blanches“ (Weiße Tränen) und „Feuervogel“, zwei Stücke aus den frühen Neunzigerjahren. Es war eine Einladung noch von Staatsballett-Gründerin Konstanze Vernon (1939-2013). Jetzt präsentiert Ballettchef Laurent Hilaire Preljocajs „Le Parc“ – eine Premiere mit nostalgischer Aura: Hilaire, vormals „Danseur étoile“ im Ballett der Pariser Oper, tanzte 1994 mit „étoile“ Isabelle Guérin die Hauptpartien in der Pariser Uraufführung. München-Premiere ist am 25. November im Nationaltheater.
„Le Parc“, generell eingestuft als Preljocajs wichtigstes Werk, führt zurück zur höfischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Speziell zu ihren von Tradition und Regeln bestimmten Liebesbeziehungen. Das ist, zugegeben, ziemlich weit weg von uns. Aber im Kino sah man ja schon Roger Vadims „Les Liaisons dangereuses“ (1959) mit Jeanne Moreau und Gérard Philipe oder Stephen Frears „Gefährliche Liebschaften“ (1988) mit Glenn Close, John Malkovich und Michelle Pfeiffer. Inspiration und Vorlagen lieferten Christopher Hamptons gleichnamiges Bühnenstück (1988) und Choderlos de Laclos’ Briefroman von 1782.
Das Thema musste jetzt endlich vertanzt werden. Und passte, historisch gesehen, bestens in die Pariser Opéra. Vorläufer war ja die von Louis XIV 1669 gegründete Nationale Akademie für Musik und Tanz. „Le Parc“ evoziert also die höfische Atmosphäre des kultivierten Flirtens. „Im Zentrum“, so Preljocaj, „steht die Beziehung eines Paares in drei Etappen: von der Werbung des Mannes über Zweifel und Zurückhaltung der Dame bis schließlich zu ihrem Einverständnis“.
Hier verweist Preljocaj auch noch auf den historischen Roman „La Princesse de Clèves“ von Marie-Madeleine de La Fayette (1678 in Paris anonym veröffentlicht): „Darin geht es um die schon mit 17 verheiratete Prinzessin. Sie verliebt sich in einen anderen Mann. Aber entsagt dieser Liebe.“ Offensichtlich hat sich Preljocaj intensiv in die Liebes-Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts eingelesen. Sein überraschender Schachzug ist dann, die Choreografie formal in die Moderne zu holen. Die Szenerie ist zwar eine Art Lust-Park für tändelnde Liebschaften einer müßigen Adelsgesellschaft. Aber die Aktionen der Gärtner – wohl zu verstehen als eine Art Psycho-Pfleger – haben die Dance classique hinter sich gelassen.
Ganz ähnlich wie Preljocaj in seiner Laufbahn: „Mit dem Erwachsenwerden hatte ich plötzlich Interesse an neuen Stilen.“ Er sammelt Erfahrung bei Merce Cunnigham in New York, ist aber auch inspiriert vom Unterricht der in Paris lebenden Ausdruckstänzerin Karin Waehner. „Bei ihr habe ich eine Offenheit entdeckt, zum ersten Mal auch gelernt, in mich selbst hineinzuhören – mich selbst neu zu erfinden.“
1984 gründet er seine eigene Compagnie. Was zunächst Selbstfinanzierung durch Nebenjobs bedeutet. Aber das Durchhalten hat er wahrscheinlich von seinen Eltern geerbt. Sie flüchteten aus dem kommunistischen Albanien, die Mutter schon schwanger mit Angelin, der 1957 in Frankreich geboren wurde. Für seine seit 1996 in Aix-en-Provence etablierte Compagnie hat er zahlreiche Werke geschaffen. Und er ist mit Arbeiten oder Kreationen in großen Ensembles vertreten wie an der Staatsoper Berlin, an der Mailänder Scala und beim New York City Ballet. Bei einer Übernahme achte er aber sehr darauf, welches Stück er welcher Compagnie anvertraue. „Das New York City Ballet ist eher athletisch, brilliert auch mit einer sehr schnellen Fußarbeit. Und es ist eingestellt auf jazzige Choreografien, zum Beispiel von Jerome Robbins.“ Dagegen spüre man beim Ballett der Pariser Oper, bei aller Öffnung für die Moderne, immer noch die Vergangenheit. „Eine gewisse Noblesse, eben den Esprit der Epoche von Louis XIV.“ Also deswegen im „Parc“ Musik von Mozart! Aber halt: Da sind ja noch die Gärtner in einem modernen Bewegungsstil. Die werden dann angefeuert vom Goran Vejvodas Soundtrack.
Premiere
am 25. November im Münchner Nationaltheater, Telefon 089/ 21 85 19 20.