Auf dem Ozean des Lebens

von Redaktion

Henry Arnold beeindruckt in „Novecento“ im Hofspielhaus

VON KATRIN BASARAN

Nicht weniger als 22 Persönlichkeiten stecken in diesem Mann. Henry Arnold, dessen Gesicht einem aus Film und Fernsehen („Heimat“-Reihe von Edgar Reitz) vertraut erscheint, füllt sie alle mit Leben und Persönlichkeit, als er im Hofspielhaus von „Novecento – die Legende des Ozeanpianisten“ erzählt. Wobei das Wort „erzählen“ bei dieser Premiere im kleinen Theater an der Münchner Falkenturmstraße Arnolds Kunst nicht trifft. Nein. Der 62-Jährige fesselt, fordert und entführt das Publikum in die Anfänge des vergangenen Jahrhunderts auf einen Ozeanriesen, die M.S. Virginian, „der Titanic gleich“. Sie bringt in den Zwanzigern und Dreißigern Auswanderer, Glücksritter und wohlhabendes Klientel in nur 20 Tagen nach New York.

Fast kann man ihn riechen, den Kohlestaub, spürt die Schwere der schlechten Luft der dritten Klasse, ahnt das Kopfweh, ausgelöst durch wuchtige Parfüms feiner Damen der ersten Klasse. Der Boden scheint zu vibrieren unter dem Druck der Kessel und Kolben im Maschinenraum. Man fühlt das unsichere Wanken, wenn das Schiff durch Wellenberge pflügt – so detailreich ist diese Geschichte des italienischen Schriftstellers Alessandro Baricco, Jahrgang 1958. Und so fantasievoll ist sie inszeniert und vorgetragen auf der kleinen Bühne, die nur ein Piano und einen Schrankkoffer braucht, dazu einen Rettungsring und zwei Requisiten, die an eine Reling erinnern. Dem Team um Regisseur Georg Büttel gelingt es, mit wenigen Mitteln den ganzen Kosmos eines Ozeanriesen zu erzeugen.

Aber dieser Henry Arnold, der beginnend als Trompeter Tim Tooney das erstaunliche Leben von Pianist Novecento beschwört: Er dringt ein in die Köpfe des Publikums, nimmt es gefangen und lässt es atemlos, melancholisch, glücklich zurück. „Du bist nicht wirklich aufgeschmissen, solange du noch eine gute Geschichte hast und sie jemandem erzählen kannst“, sagt Novecento, bevor er Trompeter Tim die eigene vererbt. Novecento wird am Neujahrsmorgen des Jahres 1900 an Bord der M.S. Virginian in einer Zitronenkiste gefunden vom Matrosen Danny Boodman, der als Ziehvater den Buben auf den Namen Danny Boodman T. D. Lemon Novecento tauft. Italienisch-Freunde wissen, dass der letzte Teil des Namens für Neunzehnhundert steht.

Der Knabe wird das Schiff nie verlassen. Aber er wird dort zum weltbesten Pianisten, der die Welt bereist, ohne sie je gesehen zu haben. Die Welt kommt zu ihm, Novecento vereint sie mit seiner Kunst. Nur einmal versucht er, dieses Leben zu verlassen. Es ist ein Höhepunkt des Abends, der davon doch so viele hat. Arnold stemmt den Mammut-Monolog allein auf dieser Bühne, die keine Fehler verzeiht. Die dem Stück innewohnende Poesie lässt er nie außer acht, bringt sie zum Klingen. Ach ja – Klavier spielen kann der Mann auch! Tosender Applaus.

Nächste Vorstellungen

am 29. November sowie am 7., 9., 13. und 14. Dezember; www.hofspielhaus.de.

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