Was tun?!

von Redaktion

Philipp Arnold über seine Inszenierung von Kästners „Fabian“ am Volkstheater

Ein junger Mann streift zum Ende der Weimarer Republik durch Berlin. Sein erklärtes Ziel: Er „möchte helfen, die Menschen anständig und vernünftig zu machen“. Doch erst einmal sieht er einfach nur zu: Erich Kästner macht ihn in „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ zum passiven Chronisten einer schwierigen Zeit kurz vor der Machtübernahme der Nazis. Philipp Arnold, Hausregisseur am Münchner Volkstheater, bringt den 1931 erschienenen Roman nun, erweitert um drei neue Texte aus Osteuropa, auf die Bühne – Premiere ist morgen. Was haben wir nach fast 100 Jahren aus Kästners Warnungen gelernt?, fragt Arnold und zieht Parallelen zur heutigen Flut an Krisen-News, die uns ebenso lähmt wie Fabian.

Lachen wir heute über einen „Moralisten“ wie Jakob Fabian?

Er ist eine komplexe Figur; er war – wie Erich Kästner auch – Soldat im Ersten Weltkrieg; er hat erlebt, dass das Individuum nichts wert ist. Dennoch bleibt der Grund für Fabians Nicht-Handeln nebulös. Man liest den Roman und denkt: „Mach was!“ Er aber wartet auf den Startschuss: Wenn die Menschen anständig sind, dann kann ich anfangen. Als Parabel taugt Fabian für ein Gesellschaftsbild, das sich nicht bewegt, das abwartet, nicht mehr reagiert ob der Masse an Eindrücken. Kästner spricht vom „Wartesaal, der Europa heißt“. Die Geschichte wird groß, die Zeit wird groß – was tun?!

Kann man Fabian seine Passivität vorwerfen?

Meine Sicht auf ihn hat sich ein bisschen gewandelt. Als ich den Roman zum ersten Mal gelesen habe, konnte ich seine Ohnmacht sehr gut nachvollziehen. Es ist Krieg in Europa, es ist Klimakrise, es gibt Rechtspopulismus in Deutschland – es gibt so viele Brände, natürlich lähmt einen das. Im Probenprozess bin ich aber an den Punkt gekommen, an dem ich mich gefragt habe: Wieso machen wir eigentlich nichts? Ich sehe diesen Fabian kritischer. Kämpf zumindest für deine Liebe, kämpf für deinen besten Freund! Aber dafür ist er zu sehr auf sich selbst fixiert.

Sie haben Kästner zwei Co-Autorinnen und einen Co-Autor zur Seite gestellt. Mit welcher Absicht?

Ich wollte den Roman nach Osteuropa geben. Denn ich glaube, die Idee von Europa bedeutet dort heute etwas ganz anderes. Kästner ist während der Nazi-Diktatur nicht ins Exil gegangen. Viktor Martinowitsch macht das Gleiche: Er lebt in Belarus und schreibt aus dem System heraus gegen das System, das ihn zensiert. Er hat zwei neue Figuren geschaffen – Michal, der aus Belarus fliehen und sein Kind zurücklassen musste, und Mihajlo aus der Ukraine, dessen Kind in die Waisenhäuser entführt wurde. Kästners „Was tun?!“ setzt er in diesem Gedankentext ein „Was will man machen?!“ entgegen. Marina Smilyanets ist während des furchtbaren Angriffskrieges aus Kiew nach Berlin gekommen; sie schreibt Tagebucheinträge über ihre Fluchterfahrungen und zieht darin Parallelen zu Fabian. Und Arna Aley – gebürtige Litauerin, aber schon lange in Deutschland – hat in Chemnitz, basierend auf Kästners Romanfiguren, die Geschichte der Leute in einer Stadt des erstarkenden Rechtspopulismus aufgeschrieben. Es sind drei sehr unterschiedliche, persönliche Texte geworden.

Ein Roman, drei Uraufführungen – wie bringt man das zusammen ins Theater?

Es passt zum Episodenhaften, das wir aus dem Roman gefiltert haben. Wir verweben die Texte; sie kommentieren, beleuchten den „Fabian“, holen Kästner in unsere Realität und zeigen damit zugleich seine Relevanz. Aber sie sprechen auch für sich, verlangen etwas Eigenes, eine eigene Ästhetik. Wir haben neben Fabian ein Erzählensemble aus vier handelnden Romanfiguren, das diese Texte spielt. So wird Kästners Bestandsaufnahme perspektivisch erweitert – ein Kaleidoskop unserer Zeit.

Das Gespräch führte Teresa Grenzmann.

Premiere

ist morgen, 19.30 Uhr; www.muenchner- volkstheater.de.

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