Einem Koloss norwegischer Kulturgeschichte hat sich Karl Alfred Schreiner, Ballettchef am Gärtnerplatz, mit seiner Spielzeitpremiere genähert – doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Zwei Meisterstreiche der norwegischen Nationalkünstler Henrik Ibsen und Edvard Grieg inspirierten einst John Neumeier oder Edward Clug zu Tanzadaptionen. Und Schreiner beweist nach Arbeiten wie „Giselle“, „Undine“ oder eben nun mit „Peer Gynt“ ein gutes Händchen für Handlungsballette.
Neuland betrat er mit seiner erstmaligen Verknüpfung von Tanz, Ton und Wort, indem er sich dazu entschied, gewichtige Textpassagen aus Ibsens Bühnenstück in die Choreografie einfließen zu lassen. Für die faustische Figur des Knopfgießers hat sich Schreiner einen superben Mann geholt – Schauspieler Erwin Windegger, der dank seiner fulminanten Bühnenpräsenz und Sprachvirtuosität einen großen Gewinn für die Produktion darstellt.
Als roter Faden führt dieser verkappte Sensenmann durch den Abend und schlägt eine Brücke von Ibsens Text zu Griegs Musik als Herzstück der Choreografie. Sein tänzerischer Counterpart ist der Titelheld des Stücks (eindringlich: Alexander Hille), dem der Knopfgießer gleich des Komturs aus „Don Giovanni“ immer wieder ins Gewissen ruft: „Peer, du lügst“.
Kein Bösewicht ist dieser Peer Gynt, von einem Heiligenstatus aber ebenso weit entfernt. Sein Dilemma ist seine Durchschnittlichkeit. Ein „Massenbrei“ sei er, eine „Zwiebel ohne Kern“, wie es heißt. Tiefenpsychologische Suche nach der eigenen Identität wird hier betrieben. „Umschmelzen“ will der Knopfgießer den Einheits-Peer, den er sich als „blitzenden Knopf an der Weste der Welt“ gewünscht hätte, der jedoch auf nichts anderes in seinem Leben zurückblicken kann als auf Mittelmaß.
Das Reich der Fantasie ist ureigenstes Metier des Tanzes. Und so lässt Schreiner eine Fülle an abenteuerlichen Welten mit seinem versierten Team entstehen: Dörfliche Idylle, schroffe Berge, mystische Wälder, nebelschwangere Fjorde, das Reich des Bergkönigs – all das begeistert als grandiose Nonstop-Projektion auf der Rückwand (Bühne: Heiko Pfützner; Video: Christian Gasteiger und Raphael Kurig). Auch mit nordischen Kostümen unbestimmter Moderne (Thomas Kaiser) und der Paarung zeitgenössischer Bewegungssprache mit Folkloretänzen werden Szenen erschaffen, die den „Norwegischen Feenmärchen und Volkssagen“ entsprungen zu sein scheinen, auf denen Ibsens dramatisches Gedicht basiert.
Neben dem wunderbar aufeinander eingespielten Ensemble und den Alter Egos von Peer überzeugen vor allem die starken weiblichen Figuren der Mutter Ase (Emily Yetta Wohl) und Solveig (Marta Jaén Garcia). Sie sorgen für übersinnlich-poetische, sinnlich-flirrende Momente.
Karl Alfred Schreiners choreografisch größte Stärke zeigt sich nicht zuletzt in seinem überfeinen Gespür für Tanz in der Zweisamkeit, indem sich ein zärtlich fließender Pas de deux nach dem anderen durch den Abend zieht. Diese harmonieren bestens mit der traumschönen Musik von Grieg und der zeitgenössischen Komponistin María Huld Markan Sigfúsdóttir (Dirigat: Michael Brandstätter). Ein Gesamtkunstwerk, das zum Träumen und Schwelgen einlädt.
Nächste Vorstellungen
am 28. November sowie am 2.,6., 15., 16., 19. und 21. Dezember; Telefon 089/21 85 19 60.