Vielleicht eine positive Sache: Eine „Fledermaus“ ohne Gefängniswärter Frosch, Paradesprechrolle für in Ehren ergraute Mimen, das kann funktionieren. Weil diesem Monolog aus Akt drei ohnehin gern das Flachwitz-Kabarett droht. Zumindest hat man die Figur hier, am Staatstheater Nürnberg, nicht vermisst. Vieles andere dagegen schon. Tempo, Timing, Pointen, die stechen und pieksen, dazu einen Dirigenten, der das überreiche Angebot von Johann Strauß aufnimmt und weitertreibt, auch ein Ensemble, das mit dem Duidu-Wahnwitz des Stücks jongliert – die Liste ist lang. Zu lang.
Dabei wird auf der Bühne gegackert, manchmal auch chargiert, was das Zeug hält. Nur eben wie beim Onkel, der sich auf dem Familienfest am meisten über seine Witze ausschüttet. Oder wie beim aufgekratzten Chef auf der Betriebsfeier. Letzteres ist hier auch beabsichtigt: Gabriel von Eisenstein ist bei Regisseur Marco Štorman kein reicher Rentier, sondern Abteilungsleiter eines Großraumbüros kurz vor dem Durchbruch der Digitalisierung. Dort arbeiten seine bessere Hälfte Rosalinde, Kammerjungfer Adele (hier „Assistentin“ genannt) und Widersacher Alfred, bei Martin Platz ein cooler Bürobote, der ständig Cola säuft.
Das Setting von Ausstatter Márton Ágh hätte durchaus das Zeug zum überdrehten Gaga-Abend. Das, was darin stattfindet, schickt diese „Fledermaus“ allerdings in den Sink-, bald auch Sturzflug. Obgleich sich Joachim Goltz als stimmprächtiger und Möchtegern-Bürohengst Eisenstein noch so sehr abstrampelt – der Mann wirkt wie aus einer Operetten-Parallelwelt importiert. Eine Rettungsaktion auf eigene Kosten. Das Personal müht sich redlich, man sieht und hört es ihm an. Neben Goltz und Platz sind auch Chloë Morgan (Adele) und Hans Kittelmann (Dr. Blind) typengerecht und vokal auf den Punkt besetzt. Andere wie Emily Newton, in Nürnberg unter anderem als „Lohengrin“-Elsa und Elisabeth im „Don Carlos“ zu Recht gefeiert, bräuchten einen Operettenanwalt à la Josef E. Köpplinger vom Münchner Schwesterstaatstheater, der sie fit macht für dieses Genre.
Worauf Regisseur Štorman an dem Abend hinauswill, bleibt wolkig. Der Ball-Akt spielt auf einem Kreuzfahrtschiff, zu dem Rosalinde per Helikopter einfliegt (Durchschnittsverdiener wie dieses Personal bräuchten dazu einen Lottogewinn). Am Ende vermischen sich beide Bühnen-Ideen, vielleicht zielt das Regie-Team auf einen surrealen Albtraum aus Amüsement und Hormonstau.
Dazu wird ein wenig an der Partitur geschraubt. Im zweiten Finale fehlt die Zielgerade, die Polka „Unter Donner und Blitz“, immer gern in die „Fledermaus“ implantiert, gibt es als Zwischenaktmusik. Sándor Károlyi, zweiter Kapellmeister des Hauses, lässt die Staatsphilharmonie Nürnberg hier deftig aufspielen. Ansonsten wird das meiste unaufgeregt und sorgsam abgewickelt. Was hier glitzert, ist vor allem der Flitterstaub aus den geöffneten Schampus-Flaschen.
Die (vermeintlich) leichte Muse, auch das signalisiert die Premiere ungewollt, ist knifflig und ein Fall für 1-a-Kräfte. Warum aber ausgerechnet immer die „Fledermaus“ ins Rennen geschickt wird, wenn sich Opernhäuser ein Operetten-Feigenblatt gestatten, das kann auch Nürnberg nicht beantworten. Ab 23. Dezember legt die Bayerische Staatsoper mit demselben Stück nach – und übrigens einem Frosch in sechsfacher Ausfertigung.
Nächste Vorstellungen
am 30. November, 2., 10., 18., 26. und 31. Dezember;
Telefon 0180/134 42 76.
Die leichte Muse bleibt ein Fall für 1-a-Kräfte