Es stimmt schon: Knalltüten und Krawallschachteln findet man unter Lyrikern eher selten. Aber auch das Klischee, alle Dichter seien Leisetreter, ist falsch. Dass im Poesie-Orchester so ziemlich alle Phonstärken vorkommen, zeigt sich beispielhaft an der neuen Ausgabe von Deutschlands bekanntester Lyrik-Zeitschrift „Das Gedicht“, die von Anton G. Leitner in Weßling (Landkreis Starnberg) seit drei Jahrzehnten herausgegeben wird: „Laut & leise“ lautet das Thema der 31. Ausgabe, in der uns die Dichter nicht nur was flüstern.
Denn das Heft versammelt wieder eine wunderbare Vielfalt faszinierender Gedichte in allen Tonlagen – vom wispernden Witz bis zur schreienden Wehklage. Da wird das Dröhnen von Hardrock und Harley genauso bedichtet wie das kaum hörbare Geräusch eines Regentropfens, der auf das Moos am Waldboden fällt. Neben klangvollen Namen wie Helmut Krausser, Lutz Rathenow oder Fitzgerald Kusz leiht der hellhörige Herausgeber auch wieder jüngeren Autoren sein Ohr, obwohl es um sie in der Lyrikszene (noch) etwas stiller ist.
Weil hingegen der Diskurs über Künstliche Intelligenz (KI) in letzter Zeit immer lauter wird, hat auch das neue „Gedicht“ ihn nicht überhört: Einige Texte in dem Band lassen uns bewusst im Unklaren darüber, ob sie teilweise vielleicht von einer KI verfasst wurden („authentisches/ Wording automatisch erstellt“). Oder haben Boris Greff und Philip Saß in ihre Gedichte Passagen eingebaut, die nur so klingen sollen, als ob sie von der KI wären, indes sie in Wirklichkeit von den Autoren stammen?
Nach solchen Vexierspielen ist man direkt froh, ein paar Seiten weiter auf Friedrich Ani zu treffen, von dem zuverlässig bekannt ist, dass er natürliche Intelligenz besitzt. Berühmt wurde der Münchner Autor zwar vor allem mit seinen Edelkrimis, aber Freunde der Poesie schätzen ihn schon lange als Lyriker, der quasi das Gras der Worte wachsen hört. In seinem Gedicht „Zimmer 759“ führt er eine stumme Unterhaltung mit seinem Schatten und erkennt: „jede Wand/ lügt gröber als// die andre/ der Welt ins Gesicht.“
Dass in einer Anthologie zum Thema „Laut & leise“ die klassische Lautpoesie nicht schweigen darf, versteht sich von selbst. Thilo Mandelkows Gedicht über die Historie der Tötungsgeräusche („rattattattatta/ Fünf Leichen lagen plötzlich da“) erinnert noch an Ernst Jandls „schtzngrmm“, während Lars-Arvid Brischke die Wortfetzen knattern lässt, wenn er ein „Bläserquintett“ besingt: „bora nette tromba uba/ nette bora romba tu.“
Im Kontrast zu diesem herrlichen Sprachkrach wird es ausgerechnet dann ganz still, wenn Fritz Deppert den „Urknall“ beschwört als „ein Rauschen in den Ohren/ leise, kaum hörbar, wie eingebildet“…
Anton G. Leitner (Hg.):
„Das Gedicht. Nummer 31“. Anton G. Leitner Verlag, Weßling, 207 S.; 20 Euro.
Lesung: Am 29. November, 19 Uhr, feiert im Münchner Lyrik Kabinett, Amalienstr. 83a, das neue „Gedicht“ Premiere mit 20 Poetinnen und Poeten, die im Heft vertreten sind. Telefon: 08153/95 25 22.