Hier ist der Lack dran

von Redaktion

AUSSTELLUNG Fantastisches japanisches Kunsthandwerk in Oberammergau

VON KATJA KRAFT

Man selbst würde wahnsinnig werden. Würde den Lack irgendwann einfach gegen die Wand schleudern, die verschmierten Finger verfluchen. Kriegste ja nicht so leicht ab das Zeug. Die japanischen Kunsthandwerker hingegen: Sitzen da in stoischer Ruhe und tragen die erste Lackschicht auf, lassen sie einen Tag (!) lang trocknen. Dann die nächste Schicht. Trocknen. Nächste Schicht. Trocknen. So geht das. Tage, Wochen, Monate. Oftmals: Jahre. Damit Wunderwerke wie die Dose „Peach“ entstehen. 10, in Worten: Zehn Jahre lang hat die Japanerin Nakata Mayu sie aus Lack gefertigt. Jetzt stelle man sich vor, in Jahr neun verrutscht eine Schicht. Alles auf Anfang. Gehen Sie nicht über Los – sondern direkt zum Therapeuten.

Zum Verrücktwerden ist auch die Ausstellung, die nun im Oberammergau Museum zu sehen ist. Weil man sie am liebsten alle anlangen würde, die im besten Sinne irren japanischen Lackkunstwerke. Jedoch: Anfassen strengstens verboten. „Objekte nicht berühren“, mahnen Schilder. Was dem Schutz der Kunstwerke dienen soll, hat einen faszinierenden Nebeneffekt: Jede Materialität scheint aufgehoben, als Besucher weiß man nicht – ist das jeweilige Objekt schwer oder leicht, massiv oder hohl?

Museumsleiterin Constanze Werner kennt die Antwort: Erstaunlich wenig Gewicht haben die Vasen, Schalen und Objekte. Gemeinsam mit Patricia Frick vom Museum für Lackkunst Münster hat sie die Schau kuratiert. Hat die so filigran gearbeiteten, durch den Lack aber ungemein robusten Werke auf kluge Weise in die Dauerausstellung des Museums integriert. Japanisches und bayerisches Kunsthandwerk – was das miteinander zu tun haben soll, erschließt sich nicht auf Anhieb. Doch dann geht man hinein ins Haus an der Dorfstraße; sieht, wie fantastisch beispielsweise die Gewänder der alten Römer-Figuren aus Oberammergau mit Fujino Seiichiors „Flower No. 78“ korrespondieren, die im gleichen Farbton funkelt. Und plötzlich liegt Japan ganz nah an Oberbayern.

Auf Werner ist Verlass. Immer bemüht sich die quirlige Museumschefin, spannende Arbeiten zu präsentieren, die einen Bezug zur Region haben – „ich muss jetzt nicht Warhol in Oberammergau aufhängen“. Wer Warhol will, der kann sich im Museum Brandhorst in München sattsehen. Wer sich von asiatischer Kultur faszinieren lassen möchte, der fährt nach Oberammergau.

Interessant, wie viele Parallelen es zu der Hokuriku-Region in Japan gibt, in der die größten Lackkünstler des Landes arbeiten. Wie in Oberammergau besinnen sich die Menschen dort auf eine jahrhundertealte Tradition; auch in Hokuriku gibt es eine Fachhochschule, in der die jungen Leute das alte Handwerk lernen; meist ist das Trägermaterial für die japanische Lackkunst Holz – und sind nicht auch die Oberammergauer Schnitzfiguren mit Schellack überzogen?

Passt perfekt, befand Werner. Und merkte beim Stellen der Objekte, wie perfekt. Sie hat aber auch einen guten Blick. Und quietscht beim Rundgang vor Freude, als ihr Gast sieht, wo sie Kamata Katsujis schwarze Schale platziert hat. Direkt im Blickfeld des Herrn auf einem Gemälde aus Bayern nämlich. Auf dessen Kopf ein schwarzer Schlapphut. „Schaut die Schale nicht exakt aus wie der Hut, auf den Kopf gestellt?“, freut sich Werner. Und steckt einen mit ihrer Freude an wie so ein fröhliches Grippe-Virus, aber auf gute Weise, auf den Kopf gestellt.

Unter dem Dach wartet dann ein ganzer Saal mit japanischer Lackkunst. Die Stars der Szene präsentieren sich. Jedes Werk perfekt. Formvollendet. Besonders anziehend die des Japaners Ukai Kohei. Aus Treibholz schafft er Faszinosa wie „Fusion 19-01“. Der Lack scheint über die Rosskastanie zu fluten wie Wellen, die sich an Felsen brechen. Diese Symbiose aus Holz und Lack ist so voller Energie, Sehnsucht, Fernweh. Berührt tief.

Und macht neugierig: Wie hat Kohei das gemacht? Der sehenswerte Dokumentarfilm von Mieko Azuma, der ein paar Meter weiter in Dauerschleife läuft, verrät es uns. Sie hat den Künstlern im Atelier über die Schulter geschaut. Staunend, auch erheitert von der schier unmenschlichen Geduld der porträtierten Künstlerinnen und Künstler sitzen junge und alte Besucher vor dem Bildschirm.

Und sind umso entsetzter, dass dies die letzte Sonderausstellung des Münsteraner Museums sein wird. Der Chemiekonzern BASF schließt das von ihm betriebene Haus, ausgerechnet im 30. Jubiläumsjahr. Sparmaßnahme. Werner hält ihren Ärger darüber nicht zurück: „Sie investieren voller Naivität weiter in China – doch die riesige chinesische Lacksammlung, die sie besitzen, möchten sie nicht mehr zeigen. Möchten nicht weiter in Kultur investieren. Das ist entsetzlich!“ Es brauche doch gerade die Kultur zum Brückenbauen, nicht das bloße Investment in andere Länder. „Die deutsche Wirtschaft ist so uninspiriert, wir haben da Leute drin hocken, die keinen Begriff von Kultur mehr haben“, echauffiert sie sich. Und schaut noch einmal in den großen Saal. Sie nennt’s ihren „Zen-Garten“. „Neulich hat mir eine Frau gesagt: ,Man geht da rein – und dann ist man irgendwie glücklich.‘“ Ein kleiner Lichtblick. Der wirkt.

Bis 4. Februar 2024

im Oberammergau Museum, Dorfstraße 8; Di.-So. 10-17 Uhr. Feiertags auch montags. Geschlossen am 24. Dezember und 1. Januar. Tel.: 08822/32 44 0.

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