Bitte stören!

von Redaktion

AUSSTELLUNG „Glitch“ in der Pinakothek der Moderne feiert das Potenzial von Fehlern

VON KATJA KRAFT

Glitch. Ein Wort, für das man Gummistiefel braucht. Klingt wie matschige Pfützen, glibberige Masse, in jedem Fall: glitschig. Etwas, das einem zu entgleiten droht. Und auf diese Weise Aufmerksamkeit provoziert. Das ist der Clou der Ausstellung „Glitch. Die Kunst der Störung“, die ab heute in der Sammlung Moderne Kunst (Pinakothek der Moderne) zu sehen ist. Sie erinnert daran, welches Potenzial in vermeintlichen Fehlern stecken kann.

Störungen reißen uns aus der Lethargie. Beispiel Fußballübertragung: Wackelt das Fernsehbild, wird aus dem (mehr oder minder) passiven Zuschauer ein aktiv Handelnder. Zu gut Deutsch: Er muss Bier und Chips zur Seite stellen und sich in Bewegung setzen, um die technische Störung zu beheben, wenn er weiter Tore sehen möchte. Alles, was außerhalb der Norm ist, reizt unser Hirn, unsere Aufmerksamkeit. Die Arbeiten aus 100 Jahren von 50 Künstlerinnen und Künstlern, die Kuratorin Franziska Kunze in der Ausstellung versammelt, machen sich diesen Effekt zu Eigen. Stören uns. Fordern dazu heraus, genauer hinzuschauen.

Den Beginn machen Fotografien aus den 1930er-Jahren. Die analoge Fotografie hatte damals den Anspruch, die Realität möglichst naturgetreu abzubilden. Wegen der noch arg rudimentären technischen Mittel blieb dieser Wunsch, was er auch heute allem Fortschritt zum Trotz noch immer bleibt: unerfüllbares Ideal. Sogenannte Fehlerfotobücher liegen in den Vitrinen aus. Sie zeigen, wie der Mensch, das drollige Wesen, für alle Lebensbereiche Regeln entwickelt, was gut, was schlecht, was falsch, was richtig sei. Und weil der Mensch nicht nur rührend pedantisch, sondern gottlob auch verspielt und trotzig sein kann, gab und gibt es immer welche, die die Regeln brechen. Fehler als künstlerische Interventionen einsetzen. Auf diese Weise auf die wahren Fehler aufmerksam machen, die unsere Gesellschaft begeht. So lässt Evelyn Richter einen auf den ersten Blick missglückte Silbergelatineabzug ihrer Fotografie der Dresdner Frauenkirche bewusst genau so stehen. Durch den fehlerhaften Abzug scheint es, als würden Flammen um die Kirche schlagen. Eine zweite Erzählebene entsteht; als wüsste das Material um die unheilvolle Historie des Ortes.

(Ver-)störend, eindringlich auch der Ansatz von Kazuma Obara. Er hat Filmrollen, die in Tschernobyl radioaktiver Strahlung ausgesetzt waren, genutzt, um „das Unsichtbare sichtbar zu machen“. Geisterhafte Schattenspiele sind entstanden; die Buben und Mädchen etwa, die er auf diesem besonderen Film eingefangen hat, scheinen langsam zu verschwinden. Die Zukunft steht den bei aller vitalen Kindlichkeit doch Sterblichen ins fast verblichene Gesicht geschrieben.

Beim Presserundgang erzählt Kunze von sogenannten „Fuck-up-Nights“, zu denen sich Start-up-Gründer treffen, um sich über unternehmerische Fehler auszutauschen. Sie hat selbst eine in München besucht: „Wie offen dort mit eigenem Versagen umgegangen wird, hat mich beeindruckt.“ Scheitern als Chance betrachten. Als Weiser zu neuen Wegen. Dazu lädt auch diese Ausstellung ein, die man mit Kinderaugen erkunden und sich dabei überraschen (letzter Raum!) lasse sollte. Egal, in welchem Alter.

Wie hat es der ja völlig unterschätzte Bob Ross (1942-1995) formuliert? Wenn er bei seinen Malsendungen im TV versehentlich einen Strich auf die Leinwand gesetzt hat, der dort nicht hingehörte, ging er mit dem Pinsel noch mal drüber. Wurde aus dem unerwünschten Fleck eben ein Rabe oder ein Adler. Und kommentierte mit seiner sanften Stimme: „Ever make Mistakes in Life? Let’s make them Birds!“ Fehler in Vögel verwandeln. Und losgeflogen.

Bis 17. März 2024

in der Pinakothek der Moderne, Di. bis So. 10 bis 18, Do. bis 20 Uhr; am 24., 25. und 31.12. geschlossen.

Artikel 4 von 10