Wer wie Gott in Frankreich lebt, genießt die herrlichsten Privilegien. Entstanden ist die Redensart wohl in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Anspielung auf den französischen Klerus, der reich war und mächtig. Schließlich machten sich die Geistlichen weit oben in der Ordnung der Stände breit.
Wie Gott in Frankreich dürfen sich auch Comic-Fans fühlen. Zum einen wird der frankobelgische Stil international gefeiert – man denke nur an Künstler wie Hergé (1907-1983), den Vater von „Tim & Struppi“, an Morris (1923-2001), der „Lucky Luke“ in den Sonnenuntergang reiten ließ, oder an Albert Uderzo (1927-2020), der gemeinsam mit seinem kongenialen Texter René Goscinny (1926-1977) ein kleines, uns allen wohlbekanntes gallisches Dorf zu Weltruhm führte.
Zum anderen begegnen unsere Nachbarn im Westen der grafischen Literatur seit jeher aufgeschlossener, als das in Deutschland lange der Fall war. Comics wurden in Frankreich bereits als Kunst verehrt, da galten die gezeichneten Geschichten bei uns entweder noch als Schund, der die Jugend verdirbt, oder bestenfalls als Kinderquatsch. Diese unterschiedliche Wahrnehmung lässt sich nicht nur daran ablesen, welchen Stellenwert etwa Museen der „Neunten Kunst“ einräumen, sondern auch, wie Zeitungen, Zeitschriften, Magazine damit umgehen. Comics sind häufig fester Bestandteil in französischen Blättern.
Das Monatsmagazin „Le Monde diplomatique“ erschien erstmals 1954; 41 Jahre später wurde die deutschsprachige Ausgabe ins Leben gerufen, ein gemeinsames Produkt der Berliner „taz“ und der Schweizer Wochenzeitung „WoZ“. Bereits seit 2005 räumt die Redaktion die jeweils letzte Seite für einen Comic frei. Renommierte Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt werden eingeladen, diese zu gestalten. Dabei sind Arbeiten entstanden, die einen überraschenden, oft absurden und manchmal melancholischen Blick auf das Leben werfen. Auf dieser letzten Zeitungsseite vereint sich der Blick zurück auf die Historie der Comics, wie wir sie etwa aus den Sonntagszeitungen der USA am Ende des 19. Jahrhunderts kennen. Es ist aber auch ein Spiel mit der Zukunft: Grafisch und dramaturgisch wird gezeigt, was möglich ist – frei von allen formalen Zwängen.
Die Anthologie mit dem treffenden Titel „Die große Salatschüssel des Lebens“ versammelt einige Werke. Am Wochenende werden sie zudem beim „Markt der unabhängigen Verlage“ im Münchner Literaturhaus ausgestellt – und verkauft: Jeder Druck kostet 50 Euro. Hier sind etwa längst arrivierte Künstler wie Mawil („Kinderland“, „Lucky Luke sattelt um“) vertreten; das Buch stellt aber auch Talente vor, deren bisheriges Schaffen auf eine erfolgreiche Karriere hindeutet. Mia Oberländer, 1995 in Ulm geboren, gehört dazu. Nicht jede Arbeit überzeugt gleichermaßen. Insofern werden Sammelband wie Ausstellung ihrem Titel gerecht: Der eine mag eben lieber Gurken, der andere Tomaten und die Dritte Gelbe Rüben im Salat.
„Le Monde diplomatique“:
„Die große Salatschüssel des Lebens“. Reprodukt, Berlin, 64 Seiten; 29 Euro.