Bach fürs Wohnzimmer

von Redaktion

Juditha Haeberlin über ein ungewöhnliches Weihnachtsoratorium

„Jauchzet, frohlocket“ – jeden Advent tönt das durch die Säle und Kirchen. Bachs Weihnachtsoratorium hat sich verselbstständig – von der liturgischen Musik hin zum Konzert-Event. Doch wie wäre es, wenn man diese Tradition erneuert, ihr andere Aspekte abgewinnt? Und sie damit wegbringt vom bloßen Ritual? Das hat sich das Ensemble Resonanz gefragt. 2014 präsentierte es erstmals seine besondere Fassung der Kantaten. In kleiner Besetzung, angereichert mit ungewöhnlichen Instrumenten und Klängen. Am 10. Dezember ist dies im Prinzregententheater zu erleben. Ein Gespräch mit der Konzertmeisterin Juditha Haeberlin.

Wie viele böse Zuschriften von Bach-Jüngern haben Sie schon bekommen?

Nicht eine. Weil alle merken, dass wir Bach hochleben lassen und ihn lieben. Er darf ja bleiben, wie er ist. Sicherlich gibt es orthodoxe Barock-Fans, die schon austicken, wenn man ein bisschen Vibrato benutzt. Aber wir haben über unsere Arbeit noch nichts Böses gehört.

„Bleiben, wie er ist“? Sie tasten die Bach-Partituren doch an.

Das stimmt, es gibt E-Gitarre oder Vintage-Keyboards. Nichts ist so, wie es war. Aber wir tasten Bach nicht in seiner Heiligkeit an. Wir ehren ihn.

Wobei, ein Detail, der berühmte Choral „Ich steh’ an deiner Krippen hier“, weggeführt wird vom schwebenden Duktus, hin zu einer Durchrhythmisierung. Wollen Sie also doch ein wenig wider den Stachel löcken?

Nein. Das Ganze ist ja entstanden, als wir in Hamburg in unsere Spielstätte resonanzraum gezogen sind. Ein kleiner Saal. Endlich hatten wir unsere Herberge gefunden. Wenn ich als Kind in der Weihnachtszeit durch die Straßen gelaufen bin und in die hell erleuchteten Häuser geschaut habe, da habe ich mir immer überlegt: Wie feiern die wohl alle? Ich komme aus keiner extrem musikalischen Familie, aber wir haben auch gesungen, und mein Vater setzte sich ans Klavier. Und da dachte ich mir: Es wäre doch toll, aus dem „Weihnachtsoratorium“ eine Hausmusik zu machen. Mit Gitarre, einem Trompeter und so weiter. Mit Gesangssolisten, teilweise singen wir auch selbst bei den Chören mit. Wir wollten aus dem Bach-Werk etwas ganz Intimes machen. Und dabei haben wir experimentiert, zum Beispiel klingt die „Sinfonia“ jetzt fast bluesig.

Andererseits hat das Weihnachtsoratorium mit seinen prächtigen, von Pauken und Trompeten begleiteten Chor-Nummern auch etwas Dramatisches, eher Äußerliches. Steht das Ihrem Ansatz entgegen?

Allein dass wir auf einer Bühne stehen, wird das ja keine Angelegenheit für uns im kleinen Kreis. Und ich selbst genieße ja auch die Originalfassung mit den großen Chören, allein die Paukenschläge zu Beginn bringen mich in eine völlig andere Stimmung. Trotzdem mag ich das Intime unserer Fassung. Wir haben uns aus den sechs Kantaten bedient und versucht, eine besondere Atmosphäre zu schaffen.

Mittlerweile gibt es eine Inflation von Aufführungen des Weihnachtsoratoriums. Wollten Sie sich auch eine eigene kleine Nische suchen?

Nicht ganz. Hier in Hamburg ist es zum Beispiel so, dass die Leute sauer werden, wenn wir nur ein Konzert mit unserem Weihnachtsoratorium ansetzen. Die lieben das sehr. Und sie kommen jedes Jahr aufs Neue. Wir berühren da offenbar etwas. Auch in Belgien oder in den Niederlanden. Das hätten wir gar nicht für möglich gehalten.

Hängt das vielleicht mit dem protestantischen Umfeld zusammen? Der Bayer liebt es vielleicht eher katholisch-üppig.

Das werden wir sehen. Wir sind schon im Konzerthaus Blaibach damit aufgetreten und hatten riesigen Erfolg – in einem tief katholischen Umfeld. Wir wollen einfach Kindheitserinnerungen an dieses Fest wecken. Wenn wir mit unserem Weihnachtsoratorium reisen, nehmen wir außerdem unser eigenes Wohnzimmer mit auf die Bühne – mit Lampen und Adventskranz.

Ganz allgemein schaut das Ensemble Resonanz anders aufs Standardrepertoire. Fühlen Sie sich als Libero der Szene?

Wenn wir zum Beispiel Mozart mit dem Dirigenten Riccardo Minasi spielen, der diese Partituren extrem durchdrungen hat, dann ist für mich Mozart so, wie er sein soll. Mit allen dramatischen Details und Überraschungen. Wir spielen ein Repertoire von der Renaissance bis heute. Gerade zum Beispiel sind wir mit einer kurdischen Sängerin und ihrer Band aufgetreten.

Woher kommen die Ensemblemitglieder? Sind das Musikerinnen und Musiker à la Harnoncourt, die aus Frust in der erstarrten Klassikszene ihr eigenes Ding drehen wollten?

Das Ensemble Resonanz ist entstanden aus einem Streicherkurs der Jungen Deutschen Philharmonie. Das wuchs dann immer mehr. Ich bin kein Gründungsmitglied, hatte seinerzeit in den Niederlanden studiert und dann eine Konzertmeister-Stelle im dortigen Radio Kamerorkest. Irgendwann hörte ich vom Ensemble Resonanz, interessierte mich sehr dafür – und kündigte meine Stelle. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, einen festen Job in einem Symphonieorchester zu haben. Aber ich kann natürlich nicht für alle Ensemblemitglieder sprechen.

Wie unterscheidet sich Ihr Publikum von dem des Durchschnitt-Klassikmarkts?

Es ist auf jeden Fall jünger, genau das wollen wir auch. Wir arbeiten in einer unserer Konzertreihen mit DJs zusammen. Wenn die Leute kommen, hat erst mal die Bar geöffnet, und Musik wird aufgelegt. Dann gibt es zwei Sets zu je 35 Minuten. Die Eintrittspreise sind nicht so hoch, vergleichbar mit einem Kino-Besuch. Wenn wir allerdings im kleinen Saal der Elbphilharmonie auftreten, unserem weiteren Stamm-Saal, dann ist das Publikum etwas anders.

Werden Konzertformate wie die Ihres Ensembles immer eine Randexistenz führen? Oder wird sich der Markt allgemein dahin entwickeln?

Ich glaube tatsächlich, dass hier die Zukunft liegt. Der Erfolg gibt uns ja Recht. Es findet tatsächlich ein Umdenken statt – weil wir einfach Publikum brauchen. Alle müssen sich öffnen. Insofern sehe ich uns als Vorreiter.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

Konzert

am 10. Dezember, Telefon 089/93 60 93.

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