Pur und echt

von Redaktion

CD-KRITIK Nach 21 Jahren neue Musik von Peter Gabriel

VON STEFANIE THYSSEN

Die Münchner hatten gewissermaßen einen Vorsprung. Jedenfalls wenn sie Ende Mai auf dem Königsplatz gestanden und staunend Peter Gabriel zugehört haben. Dort, auf seiner ersten Europatour seit fast zehn Jahren, präsentierte der 73-Jährige gleich eine ganze Reihe an Songs, die zu dem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht waren. Live-Premieren vor Publikum waren das – und sie wurden heftigst gefeiert.

Nun ist das Album zur Tour auf dem Markt. Das erste von Peter Gabriel mit neuer Musik seit 21 Jahren. Das Warten hat sich gelohnt. Auf „i/o“, so der Titel, bleibt sich der Künstler, der mit Hits wie „Solsbury Hill“ und „Sledgehammer“, „Biko“ und „Don’t give up“ Musikgeschichte geschrieben hat, treu und schrammt souverän an der Gefahr vorbei, gelangweilt oder – noch schlimmer – nichtssagend daherzukommen. Kleiner Clou des Briten mit der unverkennbaren Stimme: Die einzelnen Songs wurden seit Beginn des Jahres jeweils zu Vollmond veröffentlicht.

Den Auftakt auf „i/o“ macht Panopticum, ein starker und Ohrwurm-tauglicher Song über Chancen und Risiken allwissender Technologien. Das ruhigere „Playing for time“ kommt etwas getragen, klagend, aber doch kraftvoll daher, eine schöne Piano-Ballade, in der sich der 73-Jährige mit dem Prozess des Alterns auseinandersetzt. Ein Thema, das sich schon durch das Konzert im Frühling zog und sich auch auf dem Album wiederfindet, für das Gabriel wie gewohnt mit seinen langjährigen Wegbegleitern, Gitarrist David Rhodes, Bassist Tony Levin und Schlagzeuger Manu Katché zusammengearbeitet hat.

Das spacig-schräge „The Court“ ist etwas gewöhnungsbedürtig, „Love can heal“ traurig und tröstend zugleich und erfordert etwas Geduld beim Zuhören. Bei „Road to Joy“ zeigt der Musiker, dass man mit 73 jünger sein kann als manch 40-Jähriger. Und „So much“ und „Olive Tree“ sind die vielleicht „Gabrielsten“ Stücke auf dem Album, dem man anmerkt, dass lange dran getüftelt wurde.

Alle zwölf Titel erscheinen zudem in zwei Versionen, dem (freundlicheren) Bright-Side Mix und dem (düsteren) Dark-Side-Mix. Es werde immer schwieriger, das Echte vom Unechten zu unterscheiden, hatte Peter Gabriel beim München-Konzert gesagt und über Avatare und Künstliche Intelligenz gescherzt. Dieses Album jedenfall ist Peter Gabriel pur – ganz echt.

Peter Gabriel:

„i/o“ (Virgin)

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