„Wenn es nicht klappt, spielen wir draußen auf dem Max-Joseph-Platz, der ist ja schon rund“, lacht die Schauspielerin Pia Händler. Gemeint ist die riesige Drehscheibe, die im Residenztheater steht. Sie bildet die monumentale Bühne für Ulrich Rasches Inszenierung von „Agamemnon“, dem ersten Teil der „Orestie“ des Aischylos, dem großen antiken Drama um den Kreislauf aus Rache und Widerrache. Heute feiert sie Münchner Premiere, doch bereits im Juli 2022 hat diese Inszenierung das warme Licht der Welt erblickt: am Ort ihres Ursprungs, in Griechenland, im Amphitheater von Epidauros vor fast 10 000 Zuschauern. „Es war so eindrücklich“, erinnert sich die gebürtige Hamburgerin, „Ich glaub, das werde ich nicht vergessen. Dass man dieses griechische Theater unter dieser Regie in diesen geschichtsträchtigen Raum ruft, war sehr besonders. Ich hatte das Gefühl, dafür ist das Stück geschrieben: Es hatte dort so viel Platz.“ Da der berühmte Ort ein Museum ist, fanden die Proben nachts statt, manchmal bis 4 Uhr morgens; tagsüber, geschützt vor der Sonne, wurde geschlafen.
Nun versinkt München im Schnee, doch die Darstellerin der Klytämnestra hofft, möglichst viel von der damaligen Atmosphäre mit ins Resi zu bringen. Das Gefühl jedenfalls ist wieder da – und das liegt nicht nur an dem kleinen griechischen Stein, den sie bei der Wiederanprobe des Kostüms in ihrem Schuh gefunden hat. „Auf der Drehscheibe liegt noch dieser ganz feine, helle, ewige Staub von Epidauros“, sagt sie strahlend. Technisch indes heißt es für alle umzudenken. Ein Amphitheater ist aufsichtig: Das Publikum überschaut die Bühne, die Protagonisten spielen nach oben, das wird nun anders.
Ihre Figur hat Pia Händler schon öfter kennengelernt – an diesem Haus auch im Kontext mit den antiken Heldinnen in „Die Unerhörten“ oder mit Sartres Dreiakter „Die Fliegen“. In der „Orestie“ am Schauspielhaus Graz hat sie Klytämnestras Tochter Elektra verkörpert. „Es ist immer spannend, Figuren zu spielen, an denen sich schon viele abgearbeitet haben“, findet sie. „Wir lesen Klytämnestra als starke Frau, die sich gegen die Konventionen richtet und das macht, was sie für richtig hält.“ In diesem Fall ist das der Mord an ihrem nach zehn Jahren aus dem Krieg heimgekehrten Gatten Agamemnon. Sie rächt damit, dass dieser ihre gemeinsame Tochter Iphigenie für bessere Winde auf dem Seeweg nach Troja geopfert hat. „Ich lege nicht den Fokus darauf, ob ich eine Mörderin spielen kann oder nicht“, sagt Pia Händler nachdenklich. „Sondern ich kann nachvollziehen, dass das für sie die einzige Handlungsmöglichkeit ist. Die Wut auf alles, was passiert ist, ist zu groß. Und vielleicht auch die Sorge darum, was mit ihr passiert, wenn sie wieder die Ehefrau wird – er demütigt sie ja noch nach seiner Ankunft. Ich sehe eine Frau, die sich einen Platz schaffen will an einem Ort, wo sie nicht zu sein hat. In der Antike hatten Frauen sehr wenig Einfluss, sie ist also auch Opfer ihrer Umstände.“
Das Stück wurde 458 v. Chr. uraufgeführt. Dass es auch nach 2500 Jahren so brisant ist, liegt nicht zuletzt an der Gegenüberstellung von Krieg und Mord. „In diesem Kontext finde ich es seltsam, dass der eine Mord von Klytämnestra so viel wert ist im Vergleich zu Agamemnon, der als Kriegsherr die ganze Zeit gesagt hat, wer sterben soll, und auch die Tochter gemordet hat.“ Dabei ist die Zeit nach dem Krieg für alle ein Ausnahmezustand: „Klytämnestra vergleicht den wirren Schrei aus den Stimmen der Besiegten und der Sieger, der die Stadt durcheilt, mit Öl und Essig, die sich im gleichen Krug nicht vermischen. Die einen sitzen bei den Opfern und klagen; die anderen fangen an zu plündern.“
Rasches Inszenierungen mit ihren wuchtigen Bühnenmaschinerien und ihrem treibenden Rhythmus erinnern an schwere, sisyphosartige Arbeit und an Kampf – Kampf vielleicht auch gegen das von außen auferlegte Atridenschicksal? Pia Händler nickt. „Es ist die Größe des Konfliktes in diesem antiken Stoff. Ich glaube, Ulrich Rasche interessiert das Extreme, das Herausschälen von Schmerz in Situationen, in denen das Denken aussetzt und man nicht mehr weiß, was man tun soll. Dieses Gehen und Sich-Abmühen zeigt, dass einen das wirklich etwas kostet. Zugleich hat es eine Ruhe. Es wirkt total veräußert, aber eigentlich geht es um etwas, das tief in uns ist.“
Premiere
heute Abend, 19.30 Uhr; Telefon 089/21 85 19 40.