„Mahlzeit“ steht in Frakturschrift auf dem Vorhang, der anfangs die Bühne verhüllt. Man hätte zur Not aber auch „Brechreiz“ schreiben können, denn was es zu sehen gibt, wenn der Vorhang aufgeht, ist eine Art Konditor-Disneyland mit einem üppigen Stufen-Thron in der Mitte, der aus Schaumgebäck zu bestehen scheint (Bühne: Nathalie Schatz). Auf einer Gondel aus zwei Riesenkirschen schwebt alsdann eine froschgrüne Dragqueen herab, deren Brustattrappen an Zimtschnecken gemahnen (Kostüme: Hanna Rode).
Sie verkörpert die „Hexe Godel“, und Lukas Darnstädt, der sie spielt, chargiert so saftig das Klischee einer tuntigen Transe auf die Bretter, dass es in der Übertreibung tatsächlich schon wieder lustig ist. Da wundert man sich dann kaum mehr, wenn auch Bernd das Brot höchstpersönlich auftritt (Julian Gutmann). Er ist, erfahren wir, nicht nur für „Sauberkeit und Krümel“ zuständig (eh klar), sondern auch für einen ernährungshistorischen Exkurs, in dem er, allen Vollkornfans zum Trotz, erklärt: „Wir Weißmehlprodukte blicken stolz zurück.“
Nachdem er auch noch die Mutter von Hänsel und Gretel spielt, die vielleicht nur eine Stiefmutter ist, wird der arme Wicht später zum „Stiefbrot“ herabgestuft. Und weil sowieso schon alles wurscht ist in dieser Zuckerbäckerwelt, folgt darauf eine „Familienaufstellung“ mit Tarot-Karten, die wie Lebkuchen aussehen. Außerdem geht es in der überfütterten Geschichte noch um „Skin-Care-Routinen“ (warum auch immer) und um einen Wolf, der Jakob Grimm sein könnte, aber auf jeden Fall „das Narrativ“ betreut – und von Anne Stein mit wohltuender Distanz gespielt wird, so als habe sich die Figur weniger aus einem anderen Märchen hierher verirrt, sondern aus Brechts Epischem Theater. Am Ende aber möchten alle nur noch wissen: „Umluft oder Ober- oder Unterhitze?“
So lautet, wenn schon nicht die Gretchen-, so doch die Gretelfrage, denn bekanntlich will die Hexe den Hänsel ja braten, weshalb er erst mal mit Sprühsahne gemästet wird – und wer spätestens hier aussteigt, hat alles richtig gemacht. Denn was da unter dem Titel „Hänsel & Gretel: A Sweet Escape“ über die Bühne 2 des Münchner Volkstheaters quillt, ist nicht das Weihnachtsmärchen für die lieben Kleinen. Die würden sich nur den Magen verderben an dieser bonbonbunten und sahnetortensüßen Version des Klassikers der Brüder Grimm, in der Gretel (Henriette Nagel) an Magersucht leidet und Hänsel (Max Poerting) gar nicht genug in sich reinfressen kann.
Ersonnen, geschrieben und inszeniert wurde diese kandierte „Aktualisierung“ von Juli Mahid Carly, aber statt eines Dramaturgen scheint an dieser dramatisierten Ess-Störung ein Ernährungsberater mitgewirkt zu haben. Denn zwischendurch treten die Akteure als knollige Zucker- und Insulin-Moleküle auf, um uns zu erklären, wie Diabetes funktioniert – was insofern naheliegt, als man befürchten muss, hier allein vom Zuschauen daran zu erkranken. Leider bleibt die schrille Es-war-einmal-Show viel zu harmlos, flach und belanglos, um in die Dimension des höheren Blödsinns (oder gar des abgründig Absurden) vorzustoßen. Und den Versuch, in die Buttercreme-Ästhetik dieser teigigen Märchen-Travestie stellenweise noch eine selbstreflexive „Meta-Ebene“ einzuziehen, kann man bestenfalls als süß bezeichnen.
Der Abend wirkt wie eine zusammengepappte Ideensammlung, die irgendwo in den Proben stecken geblieben ist. Da brutzelt das alberne Geblödel auf kleiner Flamme dahin, aber nur an den wenigsten Stellen zündet die Komik – am ehesten noch bei den Gesangseinlagen, die als gelungene Musical-Parodien durchgehen. Dabei hätte Carly als Autor erkennbar Potenzial, wie sein Sinn für Wortspiele („Gluten Appetit“) und Situationskomik beweist. Gut möglich, dass das Publikum einen Zuckerschock hatte und deshalb am Ende so heftig jubelte.
Weitere Vorstellungen
am 22., 28. und 29. Dezember sowie 20. und 21. Januar; Telefon 089/523 46 55.