Ist sie Hascherl oder Heilige? Hochbegabt oder geisteskrank? Keines von beidem oder beides zugleich? Man weiß es einfach nicht, aber gerade darauf beruht ja die Wirkung der Titelfigur in Witold Gombrowicz’ Groteske „Yvonne, Prinzessin von Burgund“ (1935), einem um 20 Jahre verfrühten Klassiker des Absurden Theaters.
Im Marstall des Münchner Residenztheaters, wo das Stück nach etlichen Erkrankungspannen jetzt Premiere hatte, ist Yvonne quasi ein Alien im hautengen Silberdress und mit klobigen Astronautenschuhen. Naffie Janha meistert gekonnt die Schwierigkeit, mit einer fast stummen Titelrolle doch im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, also fast nur durch Mimik ständig Ausdruck zu zeigen. Ihr extrem reduziertes, gleichwohl hochpräsentes Minenspiel deutet am ehesten noch eine Art unbeteiligte Wachheit an, bleibt aber irritierend undeutbar.
Wie ein Wesen vom anderen Stern sitzt sie da – und stört. Einfach indem sie nichts tut, nicht reagiert, nichts sagt. Wenn ganz selten dann doch ein Satz aus ihrem Mund kommt, zucken alle erschrocken zusammen: der König und die Königin, die Hofschranzen (Patrick Bimazubute, Felicia Chin-Malenski) und Thronfolger Philipp (Valentino dalle Mura).
Zu dessen Image als junger Prinz gehört es, attraktive Mädels erfolgreich anzubaggern. Aber plötzlich spürt er instinktiven Widerwillen, derart rollenkonform bloß zu „funktionieren“, wie es im Text heißt, und so entschließt er sich, „aus Überfluss“ das linkische Mauerblümchen Yvonne, ein Kind aus dem Volke, zu ehelichen, obwohl oder weil ihre bloße Existenz ihn „nervt“. Natürlich sind seine Eltern entsetzt, versuchen aber, wie sich’s für Königs gehört, nicht die Fassung zu verlieren. Doch genau das passiert. Als dysfunktionaler Fremdkörper, der in der Hofgesellschaft mit ihrer gespreizten Etikette nicht mitspielt, wirkt Yvonne wie ein Katalysator: der König (Simon Zagermann) erinnert sich plötzlich an einen Mord, den er vor langer Zeit begangen hat, und die Königin (Hanna Scheibe) gesteht beschämt, heimlich schlechte Gedichte zu schreiben.
Klar, dass Yvonne weg muss und bei einem Bankett elegant unauffällig „von oben“ gemeuchelt wird. Der eingesprungene Regisseur und Bühnenbildner Miloš Lolić hat sich für minimalistischen Retro-Charme entschieden, für historische Studiotheater-Ästhetik der 70er: Im schwarzen Raumkubus sind schwarze Rampen-Bauteile getürmt, die Treppen und Podeste bilden, aber auch Stege, zwischen denen die Akteure wie von Eisscholle zu Eisscholle springen müssen. Wobei die Majestäten sich besonders affektiert anstellen, wie Lolić ja überhaupt stark auf Körpersprache setzt – und auf eine hübsch artifizielle Atmosphäre, die Allgemeingültigkeit verbürgt; denn natürlich ist der königliche Hof in diesem Stück eine groteske Metapher für die menschliche Gesellschaft schlechthin: ein Sumpf voll Schein, Verstellung, Lüge und nicht zuletzt voll Selbstbetrug – im Marstall schön symbolisiert durch Vernebelungsschwaden, die ständig aus großen und kleinen Düsen puffen.
Insgesamt also ein gelungener, handwerklich perfekter Abend auf bestem Staatstheater-Niveau. Nur eine Kleinigkeit fehlt: ein dysfunktionaler Störfaktor, ein Yvonne-Moment quasi, das wehtut, weil es zeigen würde, was diese Geschichte mit uns zu tun hat. Die Hofschranzen sind nämlich wir, Yvonne hingegen steht für all das, was „sich nicht gehört“ oder mit heutigen Worten: einen Shitstorm auslöst. Aber natürlich ist die Kunst insgesamt inzwischen keine Querulantin mehr, sondern wieder ein brav angepasster Teil der „Hofgesellschaft“ mit ihrer Etikette.
Nächste Vorstellungen
am 28. Dezember sowie am 3. und 14. Januar;
Karten unter Telefon 089/21 85 19 40.