Aus Freude an der frohen Botschaft

von Redaktion

Das Bayerische Nationalmuseum zeigt in „Crazy Christmas“ etwas andere Weihnachtskrippen

VON SUSANNE SCHRÖDER

Krippe in bunt: Vor einem goldenen Himmel und pastellrosa Hügeln steht Maria, ganz ohne Josef (siehe Seite 17), bei ihrem Kind. Sie trägt die Haare als ungebändigte Mähne mit grünen Blüten darin, und die drei Königinnen bringen Friedenstauben. Im Hintergrund lugt ein Soldat aus dem Gebüsch, auf seinem Helm prangt „USA“ – der einzige Mann in der acht Meter breiten Sperrholzkrippe, die der Münchner Grafiker Walter Tafelmaier 1969 im Auftrag des Bayerischen Rundfunks angefertigt hatte. „Es ist die einzige Flower-Power-Krippe weltweit, und sie ist weiblich, als Anspielung auf die wachsende Selbstbestimmung von Frauen in den Siebzigern“, erklärt Thomas Schindler, Kurator der Schau „Crazy Christmas“ mit modernen Krippen im Bayerischen Nationalmuseum in München.

Krippenfans aus aller Welt pilgern in das Haus am Englischen Garten, um die einmalige Sammlung von Krippen aus Süddeutschland bis Süditalien aus drei Jahrhunderten zu bestaunen. Im Jahr 2019 entdeckten Angestellte bei Arbeiten im Depot – gut verwahrt, aber am falschen Ort – Tafelmaiers Flower-Power-Krippe. Tatsächlich sei das Pop-Art-Werk zur Jahreswende 1969/70 nur einmal im Haupthaus des Bayerischen Rundfunks gezeigt worden, sagt Schindler. Danach verschwand es als Schenkung im Keller.

Der Fund gab für Schindler, der seit acht Jahren über die Krippenabteilung wacht, den Anstoß, sich an die experimentierfreudige Phase des Museums in den Siebzigern zu erinnern. Damals sei infolge des zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) eine Diskussion darüber entbrannt, wer entscheide, wie eine Krippe auszusehen habe: Künstler oder Laien? Denn das „Krippenwesen“ war und ist fest in der Hand von Laiengruppen, die sich um Jahres-, Passions- und Weihnachtskrippen in den Kirchen kümmern. Ihrer meist traditionellen Darstellung der Geburtsgeschichte Jesu habe das Museum moderne Interpretationen zur Seite stellen wollen, berichtet der Volkskundler.

So gab man zwischen 1969 und 1977 drei Künstlerkrippen in Auftrag. Die erste schuf der Münchner Maler Rupert Stöckl als surrealistisches Arrangement. Er bemalte traditionelle Figuren silbern und versah sie mit kräftigen bunten Streifen. Die Heilige Familie sitzt vor der Apparatur einer Kindernähmaschine, Elefant und Kamel tragen Uhrgehäuse; silberner Metallplunder bestimmt die Szene. „Stöckl thematisiert die Taktung der Industriegesellschaft – die meisten Menschen wohnten schließlich 1970 nicht mehr auf dem Land“, erläutert Schindler. Während das bibeltreue Publikum aufjaulte, wurde die Krippe zum Liebling der Besucher: „Vor allem Kinder liebten sie, alles ist bunt und glitzert, sogar die Hirten und die Schafe tragen silberne Flügel.“

Vermutlich begeisterte die Auftragskrippe von Anton Hiller die Menschen nicht mehr so sehr: Der Bildhauer wählte zehn Bronzeskulpturen und gruppierte sie so, dass sie als Krippenpersonal dienen konnten – vom Jesuskind bis zum Hirten. Die letzte Krippe, 1977 vom US-Konzeptkünstler Edward Kienholz aus Müll und Schrott geschaffen, entfachte schließlich solch rüde Proteste bis hin zu Beschimpfungen und Drohungen, dass das Museum sein Experiment beerdigte und die Exponate im Depot verschwanden.

Die Schau „Crazy Christmas“ kombiniert die vier Krippen aus den Siebzigern mit jüngeren Deutungen: Da sind etwa die „Hampelmann“-Krippen des Oberammergauer Schnitzers Markus Wagner oder Rudi Bannwarths „Konsum-Krippe“ von 2018. In ihr steht Josef als Bauarbeiter inmitten einer Hochhauskulisse – stimmig für Kurator Schindler: „Der Handwerkerberuf, den Josef ausübte, entspricht dem heutigen Bauarbeiter.“ Peter Sauerer wiederum bezieht sich auf Corona: In vier postapokalyptischen Szenen verarbeitete der Geltendorfer Künstler seine Sorgen während der Pandemie. In jedem Bild lauert der „Grattler“, das personifizierte Böse. Die heiligen drei Könige tragen Lidl-Tüte und Adidas-Tasche, Maria schützt sich mit Maske vor den Viren, am Ende steht ein hoffnungsvoller Frühling.

Für Thomas Schindler sind die verrückten Krippen eine Einladung: „Wer Lust hat, auf die Suche zu gehen, der kann hier viel entdecken.“ Derzeit werde überlegt, die Bannwarth-Krippe in die Dauerausstellung zu integrieren. „Gerade junge Menschen können mit den barocken Inszenierungen oft nichts mehr anfangen.“ Zum Vermittlungsauftrag gehöre, die alten Exponate durch neue Formen zu ergänzen. Privat stellt der „Herr der Krippen“ jeden Advent zwei Ensembles auf: Eine Papierkrippe in einer Streichholzschachtel und eine „Free-Style-Krippe“, die sich von Jahr zu Jahr verändert. „Da hat auch mal ein Wokee aus ,Star Wars‘ seinen Platz“, gibt Schindler zu. Denn zur Krippe gehört für ihn eine doppelte Freude: die Freude über die frohe Botschaft – und der Spaß am Krippenbild, ganz ohne Zwang.

Bis 28. Januar

Di.-So. 10-17 Uhr (auch

am zweiten Weihnachtsfeiertag), Do. 10-20 Uhr; www.bayerisches-nationalmuseum.de.

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