Und jetzt schauen wir mal, welche Figuren aus der heimischen Krippe über die Jahre am meisten ramponiert wurden. In der Familie der Autorin dieser Zeilen waren’s Ochs und Esel. Weil sich mit ihnen so prima unchristlich spielen ließ. Unvergessen der Ausruf des Papas am Weihnachtsmorgen: „Wo ist der Esel?“ – und die Antwort der petzenden älteren Schwester: „In K.’s Playmobil-Bauernhof!“ Das Jesuskind hatte erst in der Heiligen Nacht seinen großen Auftritt, aber mit Ochs und Esel konnte man schon in den Tagen zuvor von den Eltern unbemerkt herumtollen. Auch die Heiligen Drei Könige waren für eine Entführung ins Kinderzimmer hoch im Kurs. Doch der brave Josef? Wie er da so fromm neben seiner Frau herumstand – aus kindlicher Sicht uninteressant.
Und heute? Wie blicken gläubige Christen auf den Mann an ihrer Seite? Und wie die Künstlerinnen und Künstler, die die Geburt Christi über die Jahrhunderte hinweg auf Gemälden, Altartafeln, in Holzschnitzfiguren und Kirchenfensterbildern nachgebildet haben? Der von Hans-Otto Mühleisen, Hans und Karl Pörnbacher herausgegebene – leider nur noch antiquarisch erhältliche – Band „Der heilige Josef“ (Kunstverlag Josef Fink) erzählt aus verschiedenen Blickwinkeln von dem Mann, der als Jesu Vater eine doch eigentlich so entscheidende Rolle spielt, aus dessen Mund von den vier Evangelisten aber kein einziges Wort überliefert ist. Das ist ja eine schöne Geschichte: Als Vormund Jesu auf Erden darf Josef herhalten, aber ansonsten hat er nichts zu melden?
So könnte man manche Krippenszene deuten. Wenn Josef im Hauptportal-Tympanon (13. Jahrhundert) des Freiburger Münsters wie bestellt und nicht abgeholt neben der Krippe hockt, das müde Gesicht aufgestützt. Wie teilnahmslos abwartend, bis die Engel ihm den nächsten Auftrag erteilen. Denn tatsächlich ist Josef laut biblischer Überlieferung keiner, der von sich aus die Initiative ergreift und mutig voranschreitet. Er ist der stille, besonnen Abwartende. Einer, der zuhört und schweigt.
Doch: „Dieser Josef hat es nicht verdient, in eine Ecke abgeschoben zu werden“, betont Autor Erich Läufer. Josef, das sei einer gewesen, der im Schweigen und Hören hellwach war: „Er tat, was der Engel ihm befohlen hatte.“ Läufer hebt deshalb Josefsdarstellungen hervor, die Jesu Vater auf Erden als kraftvollen, jungen und aufmerksamen Mann darstellen, der sein Ohr für den Ruf Gottes öffnet. „Die Hand ans Ohr gelegt, um besser zu vernehmen, was auf ihn zukommt.“ Einer, der „schweigt, der hört, der handelt“.
In dieser merkwürdigen Zwischenrolle. Einerseits ist Jesus ja „der Sohn Josefs“ (Lk 3,23) – und doch ist Josef nicht der Vater Jesu. Nicht sein leiblicher Erzeuger. Die beiden Evangelisten Matthäus und Lukas berichten aus unterschiedlichen Perspektiven von der haarigen Situation, in der Maria ihrem Verlobten Josef die frohe Kunde, dass sie ein Kind erwartet, mit der für den Verlobten erst einmal nicht ganz so frohen Kunde überbringt, dass nicht er der leibliche Vater ist. Während Lukas die Vorgänge mehr aus der Sicht Marias darstellt, erzählt Matthäus aus der Perspektive Josefs. Um deutlich zu machen, warum gerade Josef der auserwählte Mann für die Rolle des irdischen Jesus-Vaters ist. Als Nachkomme Davids, der in direkter Linie zu Abraham, dem Vater des Glaubens, steht, „trägt Josef gleichsam das alttestamentliche Erbe in sich. Durch ihn geht die mit dem Haus David verbundene Verheißung auf Jesus über“, erläutert Franz Sedlmeier. Mag er auch nicht der biologische Vater sein – der gesamte alttestamentliche Traditionsstrom führt über ihn zu Jesus.
Und dann bedeutet Papa-Sein ja nun auch ein bisschen mehr als der bloße Zeugungsakt. In der jüdischen Überlieferung ist es die Aufgabe des Mannes, sein Kind in den Glauben und in die Überlieferungen der Väter einzuführen. „Somit kam Josef für die religiöse und menschliche Reifung eine besondere Verantwortung zu“, unterstreicht Sedlmeier.
Was sich durch sämtliche Darstellungen zieht, ist der sanftmütige Gesichtsausdruck des Josef. Der ist sichtlich ein gutmütiger Kerl. Als er von seiner Verlobten die Nachricht ihrer Empfängnis erhält, zu diesem Zeitpunkt noch unwissend, dass es eine unbefleckte war, beschließt er, ohne öffentliches Aufsehen den Scheidebrief ausstellen zu wollen. Alles andere hätte für Maria eine Anklage wegen Ehebruchs und damit die Todesstrafe bedeutet. Doch: „Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen“ (Mt 1, 19). Entsprechend treuherzig kümmert er sich denn auch ab dem Moment, da ihm ein göttlicher Bote das wahre Geheimnis der Geburt Jesu erläutert, um das Kind wie um einen leiblichen Sohn.
Heutigen Kämpferinnen für mehr Gleichberechtigung bei der Hausarbeit muss es eine Freude sein, Darstellungen des auch ganz handfest sorgenden Vorbild-Papas zu sehen. Da kniet Josef am Feuerchen und bereitet den Brei für das Jesuskind wie bei Conrad von Soests „Geburt Christi“ (um 1450, Bad Wildungen); oder betrachtet das Kind mit liebendem Blick wie auf einem Ölgemälde des 18. Jahrhunderts in Ettal. Und woher hat Maria eigentlich in der prekären Lage, in der sie sich in der Heiligen Nacht befinden, die Windeln gezaubert, in die sie das Kind hüllt? Die Frage hat Luther einst auf seine pragmatische Art beantwortet: Der Stoff sei aus den Hosen des Josef, die er fürs Kindchen kurzerhand abgeschnitten habe.
Er wusste nicht, was auf ihn zukommt – wie dies ja kein Papa und keine Mama nach dem Wunder der Geburt weiß –, doch er vertraute ganz auf Gott. Und so ist dieser unscheinbare Mann, der neben dem niedlichen Esel und dem mächtigen Ochsen, neben den prachtvollen Königen und den drolligen Schäfchen der Hirten fast untergeht, doch eine zentrale Gestalt in der Krippenlandschaft. „Hellhörig für den Anruf Gottes lässt sich Josef im Glauben auf das sein Verstehen übersteigende Wagnis ein“, formuliert es Sedlmeier. Josef, der „Gerechte“. Er erinnert uns daran, auch in dunkler Nacht die Hoffnung nie zu verlieren.