Kennen wir sie nicht alle, die mitunter quälende Frage nach dem passenden Geschenk? Ob nun zu Weihnachten oder zum Geburtstag: Was nur bringt man mit? Zum Glück hat Gaston, der engagiert verplante Redaktionsbote, die passende Idee, als Fantasios Ehrentag naht – die „Bravo Brothers“ sollen den Chef fortan erfreuen. Der Zirkus, in dem das Affen-Trio bisher auftrat, musste die Tiere verkaufen, um runterzukommen vom Schuldenberg. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen? Von wegen! Die drei mischen die Redaktion auf und aus Gastons Frage „Fantasio gewöhnt sich an sie, nicht wahr?“ spricht vor allem die Autosuggestion.
Der Comic „Die Bravo Brothers“ gilt als „Lieblingsgeschichte“ des Zeichners und Autors André Franquin (1924-1997). Sie liegt nun auf Deutsch erstmals in einer sehr schönen, neu kolorierten Ausgabe vor, die um Unveröffentlichtes, Faksimile der Originalseiten sowie zahlreiche Hintergrundinformationen erweitert wurde. Schließlich gilt es, einen der ganz Großen der Comic-Kunst zu feiern, der heute vor 100 Jahren in Etterbeek, einem Vorort von Brüssel, geboren wurde. Franquins Bedeutung für die frankobelgische Tradition der „Neunten Kunst“ lässt sich kaum überschätzen. „Wie kann man uns nur vergleichen“, fragte einst Hergé (1907-1983), Europas zweite Comic-Legende. „Franquin ist ein großer Künstler, neben dem ich nur ein schlechter Zeichner bin“, war der Vater von „Tim und Struppi“ überzeugt.
Tatsächlich eint die beiden ihr Ruf, ihre stilprägende Arbeit. Ihr Ansatz und Strich jedoch unterscheiden sich deutlich. Natürlich sind sie Vertreter der „Ligne claire“ – die „klare Linie“ ist als Frankreichs und Belgiens wichtigster Beitrag in die Geschichte der Comics eingegangen. Doch kein anderer interpretierte diese derart schwungvoll, lebendig und ausdrucksstark wie Franquin. Dazu kommt sein subtiler Witz, der eben nicht nur die junge Leserschaft ansprach, seine Liebe zu Details (auch in „Die Bravo Brothers“ ist mancher Designklassiker zu entdecken) sowie sein Humor, der deutlich wilder, anarchistischer ist als jener von Hergé. Der wäre wohl kaum auf die Idee gekommen, mit Gaston einen „arbeitslosen Helden“ zu kreieren, der von 1957 an im Magazin „Spirou“ die Seiten unsicher machte. Zunächst als eine Art Auflockerung zwischen den redaktionellen Stücken konzipiert, war der chaotische Bursche nach kurzer Zeit derart beliebt, dass er eine eigene Serie erhielt. Franquin war auf dem Höhepunkt seiner Kunst.
Diese hatte er nach dem Studium an der Kunsthochschule im kleinen, feinen Trickfilmstudio C.B.A. entwickelt, das unter dem Druck der US-Produktionen jedoch bald in die Knie ging. Der Belgier lernte hier Gleichgesinnte kennen, Maurice De Bévère, besser bekannt unter seinem Pseudonym Morris und als Vater von „Lucky Luke“, stellte ihn dem Verleger Charles Dupuis vor. Für dessen Rundfunkzeitschrift „Le Moustique“ hatte Franquin bereits Titelbilder entworfen, nun zeichnete er auch für den Verlag und vor allem für „Spirou“, das Heft wurde in den Fünfzigern zum kreativen Königreich des frankobelgischen Comics.
Franquin führte die Geschichten von Spirou und Fantasio in neue ästhetische und erzählerische Sphären, erschuf das Marsupilami sowie die Serie „Mausi und Paul“ und legte im Herbst der Karriere das nachdenkliche, wahrhaftige und düster humorige Meisterwerk „Schwarze Gedanken“ vor. Das wichtigste Ereignis im Leben des als bescheiden und zurückhaltend beschriebenen Mannes aber war die Geburt von Gaston. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass Franquins 100. das erste Jubiläum des neuen Kulturjahres ist: Gastons liebenswerte Lässigkeit kann die Welt gerade gut gebrauchen.
André Franquin:
„Die Bravo Brothers. Jubiläumsedition“. Carlsen Verlag, Hamburg,
96 Seiten; 34 Euro.