Am Tisch mit seiner Familie

von Redaktion

NEUERSCHEINUNG Das Erinnerungsbuch „Jeder ist wer“ von Josef Brustmann

VON ULRIKE FRICK

„Menschenwege in Herzgegenden“ lautet der Untertitel dieses bemerkenswerten Buchs, das der 1954 im oberbayerischen Teisendorf geborene Kabarettist Josef Brustmann soeben vorgelegt hat. In reizvollen Gedanken-Mosaikstückchen erinnert er sich an seine entbehrungsreiche Kindheit in einer aus Südmähren stammenden Flüchtlingsfamilie. Höchst emotional und poetisch, mit einem sehr lyrischen Kammerton, wie der Untertitel bereits vermuten lässt.

Musik war ein Lebenselixier bei den Brustmanns daheim. Als achtes von neun Kindern lernte der kleine Josef „sozusagen aus Notwehr“, möglichst laute und durchdringende Instrumente zu spielen wie Tuba, Kontrabass, Klavier und Cello. Dass man nach so einer Jugend nur an der Musikhochschule studieren und selbst Musiker werden kann, ist quasi Gesetz. Vor dem Schritt in die unsichere Existenz als freiberuflicher Künstler arbeitete Brustmann zehn Jahre als Musiklehrer an einem Münchner Gymnasium, ehe er mit der dreiköpfigen Musikkabarett-Gruppe Bairisch Diatonischer Jodelwahnsinn ab Mitte der Achtzigerjahre ziemlich schnell großen Erfolg hatte. Der Bairisch Diatonische Jodelwahnsinn sorgte damals mit Dudelsack, singender Säge, Okarina und noch weitaus schrulligeren Instrumenten für ganz neue, anarchisch-subversive Töne in der bayerischen Kleinkunstszene.

Neue Töne schlägt Brustmann nun wieder an. Ganz unerwartete allerdings. Denn als literarisch ambitionierter Schriftsteller, der sich stark von Herbert Achternbusch beeinflusst sieht, arbeitet er sich nicht nur an seinen Auftritten und Erlebnissen jener Jahre ab, sondern in sehr intensiven Passagen auch an eigenen frühen Erinnerungsbruchstücken und aus Familienlegenden und Aufzeichnungen rekonstruierten Episoden der eigenen Großfamilie. In loser Folge und sehr assoziativ finden sich Gedichte mit unterschiedlichen Bezügen, historische Fotografien aus dem Familienalbum und ein großer Stammbaum. Seite für Seite nimmt man teil an Brustmanns Leben, sitzt bei der Verwandtschaft mit am Tisch. Der heute in Icking (Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen) Lebende beschreibt sehr genau das ärmliche, moralisch extrem strenge Umfeld einer so frommen wie kinderreichen Familie in der Nachkriegszeit.

Der Vater kehrt nach langen Jahren der Abwesenheit durch Krieg und Gefangenschaft heim und schweigt fortan. Karg, knapp und kühl geht es zu, bei den Großeltern wie bei den Eltern. „Zärtlichkeit gab es nicht bei uns zu Hause“, heißt es an einer Stelle. Damit dürfte es bei Brustmanns nicht anders zugegangen sein als bei vielen vergleichbaren Familien der Zeit. Was den Clan über alle finanziellen Schwierigkeiten und Tragödien hinweg aber stets zusammenhielt, war die Musik. Zwar gab es daheim zur geistigen Erbauung nur eine Bibel, eine Biografie von Franz Josef Strauß sowie „drei Operettenschallplatten von Mario Lanza“. Das tat der Begeisterung für die Musik allerdings ganz offensichtlich keinen Abbruch.

Josef Brustmann:

„Jeder ist wer. Menschenwege in Herzgegenden“. Allitera Verlag, München, 140 Seiten; 20 Euro.

Literarisch-musikalische Matinee am Sonntag, 21. Januar, um 11 Uhr im Münchner Literaturhaus mit Josef Brustmann und dem Akkordeonisten Martin Regnat. Karten unter der Telefonnummer 0761/88 84 99 99.

Vom Münchner Gymnasium zum Jodelwahnsinn

Zwischen Bibel, Franz Josef Strauß und Mario Lanza

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