„Die Menschen sind gefangen in ihren Rollen“, heißt es am Ende dieser „Anti·gone“ in leichter Sprache. „Aber ist das wirklich so?“ Wenn es nach uns geht, nicht – so scheinen die Münchner Kammerspiele zu antworten. Denn sie laden diese Woche, vom 11. bis 14. Januar dazu ein, sich zu öffnen und Theater so zu denken, dass es dies- wie jenseits der Rampe für alle Interessierten gleichermaßen erlebbar wird.
„All Abled Arts“ lautet darum der Titel des ersten „Festivals inklusiver Theaterformen“. Vier Tage lang soll dabei auf den drei Bühnen der Kammerspiele versammelt werden, was sich (vor allem auch hier) in den vergangenen Jahren der Zusammenarbeit zwischen Theaterschaffenden mit und ohne körperliche oder kognitive Beeinträchtigungen etabliert hat.
Jan-Christoph Gockels Glückssucher-Revue „Wer immer hofft, stirbt singend“ steht auf dem abwechslungsreichen, unterhaltsamen Programm. Noch einmal wird Johanna Kappauf als unerschütterliche Antigone zu sehen sein – wobei die gleichzeitige Verdolmetschung in Gebärdensprache und Audiodeskription ein spannendes Novum darstellen werden.
Auch internationale Gäste werden erwartet: „Drag Syndrome“ heißt die einzigartige Show des Londoner Kollektivs aus Drag Queens und Kings mit Down-Syndrom. Aus Warschau kommt „Libido Romantico“ des Teatr 21 über das demokratische Recht auf Liebe und Sexualität. Vom Zürcher Theater HORA stammt die Grusel-Performance „Horror und andere Sachen“, in der die Darsteller auf die Live-Regie von Tiziana Pagliaro reagieren. Der Schauspieler Samuel Koch, querschnittgelähmt seit seinem Auftritt bei „Wetten dass..?“ 2010, wird im Gastspiel des RambaZamba Theaters Berlin zu sehen sein: In Leander Haußmanns „Läuft!“ nimmt sich das Theater selbst ironisch unter die Lupe.
Auch der Blick in das teilweise kostenlose Rahmenprogramm des Festivals lohnt sich: Die Warschauer Schauspielerin Alexandra Skotarek hält einen Vortrag über den „Körper der Schauspielerin und die Moral des Publikums“; in der Therese-Giehse-Halle wird die Filmarbeit „Schule der Liebenden“ des Theater HORA gezeigt; beim „Text-Roulette“ werden All-Abled-Arts-Texte zu hören sein.
Etwa zehn Millionen Menschen in Deutschland benötigen Übersetzungen in Leichte Sprache. Seit 2009 ist dies Recht und Programm, findet aber nur allzu langsam Einzug in kulturelle Angebote. Im Rahmen von „pik – Programm für inklusive Kunstpraxis“ fördert die Kulturstiftung des Bundes auch die Pionierarbeit der Kammerspiele: als erstes Stadttheater, in dem Menschen mit kognitiver Beeinflussung fest im Ensemble sind. Ein Podiumsgespräch zwischen ihrer Intendantin Barbara Mundel, Ben Evans (British Council und Europe Beyond Access), Anna Mülter (Theaterformen) und Samuel Koch wird am kommenden Samstag genau diese Frage diskutieren: „Theater: Wie inklusiv kann es sein?“
Das Festival
dauert vom 11. bis 14. Januar, alle Einzeltickets kosten zehn Euro, der Festivalpass ist für 30 Euro zu haben; Telefon 089/ 23 39 66 00, www.muenchner-kammerspiele.de.