In gewisser Hinsicht hört der Musiker Jimmy Page am 25. September 1980 auf zu existieren. In dieser Nacht säuft sich der Schlagzeuger seiner Band Led Zeppelin, John Bonham, zu Tode. Ohne den sensationellen Drummer ist die Gruppe nicht denkbar. Und für Page bricht eine Welt zusammen. Led Zeppelin ist nicht nur sein Projekt, sondern sein Lebensinhalt, die Manifestation seines Traums.
Natürlich geht Page danach noch ins Studio, tritt auf, arbeitet mit anderen Musikern – aber das alles ist nur eine Notlösung. Wie sehr Page an Led Zeppelin hängt, wird schon an der verräterischen Äußerung offensichtlich, dass er nicht jeden Tag die Musik der Band auflege. Als er 1990 von der Plattenfirma gebeten wird, eine „Best of“ zusammenzustellen, erklärt er knapp, das ginge nicht. Das Beste von Led Zeppelin sei das Gesamtwerk.
Seit dieser Zeit veröffentlicht er regelmäßig immer wieder neu bearbeitete Ausgaben des Zeppelin-Songkatalogs und ist in der Hinsicht der Pionier der Idee, alte Aufnahmen immer und immer wieder in neuen, schön verpackten Editionen unter das Volk zu bringen. Ein Konzept, das von anderen erfolgreichen Bands dankbar aufgenommen wird und einen Boom auslöst, der bis heute anhält.
Led Zeppelin hat, obwohl von der Kritik immer ungeliebt, weltweit gut eine Viertelmilliarde Tonträger verkauft, und das ohne Single-Hits. Page haben Hitparaden ohnehin nie interessiert, das Album ist das Paket, das er anbietet, nicht einzelne Stücke.
Page, heute vor 80 Jahren in einem Londoner Vorort geboren, war seit jeher ein Sonderling, der als Kind den ganzen Nachmittag über Gitarre übt, während die anderen draußen spielen. Bereits als 13-Jähriger tritt er bei einem Nachwuchswettbewerb im BBC-Fernsehen auf und noch als Student der Kunstakademie – da ist er Teenager – wird er der gefragteste Studiogitarrist Großbritanniens. Er spielt mit den Rolling Stones, The Who, Marianne Faithful, The Kinks, Donovan, Petula Clark – es sind hunderte Aufnahmen, bei denen Page zu hören ist. Er kann mühelos unterschiedliche Stile und Klangfarben interpretieren und gilt in der Szene als uneitles Wunderkind. Für Page selbst ist die Aufnahme zum 007-Film „Goldfinger“ im Jahr 1964 unvergesslich: Alles wird live aufgezeichnet, Orchester eingeschlossen. Sängerin Shirley Bassey bricht nach dem ersten Take zusammen, das Lied ist im Kasten, es gibt keinen zweiten Versuch. Diese Atmosphäre des Kamikaze-Musizierens ohne Korrekturmöglichkeiten, das Bestreben, möglichst unmittelbar ein Lied einzuspielen, prägen Page, der 1966 an der Seite von Jugendfreund Jeff Beck bei den Yardbirds das spektakulärste Gitarrenduo in der Geschichte der populären Musik bildet.
Die Band zerfällt bald. Um noch eine bereits zugesagte Skandinavien-Tour spielen zu können, heuert der Gitarrist neue Musiker an, die zunächst als New Yardbirds auftreten und dann als Led Zeppelin von Herbst 1968 an die Welt erschüttern. Page, glühender Verehrer des Chicago-Blues, kopiert außerordentlich erfolgreich das Rezept seiner Vorbilder, mit einem einzigen prägnanten Riff ein Lied zu komponieren. Schneller und lauter ist Page, aber die Grundidee ist die gleiche. Der rabiate, raue Klang elektrisiert die Jugend sofort, und Page, der Dämon mit dem Engelsgesicht, steigt auf zum Gitarrengott. Im Unterschied zu den Saitenquälern unter seinen Zeitgenossen hat er ein Faible für den direkten, dreckigen Sound. Natürlich kann er auch phänomenale Soli spielen, aber er schaut eher auf den Gesamteindruck, da ist er Teamplayer. „Mich interessiert nicht die Technik, mich interessiert die Emotion.“
Zwischenzeitlich übertreibt er es ein wenig mit chemischen Hilfsmitteln und dem Hang zu esoterischen Schwurbeleien und verliert etwas den Überblick. Es ist die Zeit, als Led Zeppelin zum Inbegriff der dekadenten Rockband geworden sind – mit Fernsehern, die aus Fenstern fliegen, und Bandmitgliedern, die mit Motorrädern durch Hotelflure knattern. Heute lebt Page wie alle britischen Rockstars das gediegene Leben eines Landedelmanns und widmet sich der Legendenpflege seines Herzensprojekts. „Manchmal spiele ich die Gitarre, manchmal spielt sie mich“, hat Page einmal gesagt, in typischem Understatement.
Nun wird Jimmy Page, der wie kaum ein anderer den modernen Gitarrensound der Rockmusik geprägt hat, 80 Jahre alt. Und träumt wahrscheinlich immer noch von Led Zeppelin, dieser grandios megalomanischen Sensation der Musik.