Im Unruhestand

von Redaktion

Mary Roos, die Grande Dame der Unterhaltungskunst, wird 75 und blickt auf ihr „liederliches Leben“

VON ULRIKE CORDES

Eine „schrille Alte“ habe sie schon lange werden wollen, sagt Mary Roos am Telefon. Und fügt hinzu: „Mittlerweile ist es ja so weit.“ Beweis: In ihrer Show „Mehr Nutten, mehr Koks – scheiß’ auf die Erdbeeren“ lässt sich die Schlager-Ikone zur Freude des Publikums von Kabarettist Wolfgang Trepper als „Helene Fischer der Bronzezeit“ beschimpfen. Und kontert mit frechen Sprüchen sowie Hits von einst und jetzt. Damit gehen die beiden in diesem Jahr auf Abschiedstour, das Vorgängerprogramm begeisterte bundesweit 160 000 Menschen.

Doch zunächst feiert die Grande Dame der Unterhaltungskunst, die ihren Durchbruch 1970 mit „Arizona Man“ erlebte, heute ihren 75. Eine Zahl, die die in Hamburg lebende Rheinländerin kaum anficht. „Ich fühle mich rundherum wohl, ignoriere Falten und Pfunde. Und feiern werde ich nur im ganz kleinen Kreis. Erst zu meinem 80. werde ich außer meiner Familie alle Freunde und Feinde einladen. Und es richtig krachen lassen.“ Vor fünf Jahren hatte die auch international erfolgreiche Künstlerin ihre sechs Jahrzehnte währende Schlagerlaufbahn beendet. Seither genießt sie einen ausgesprochenen Unruhestand – in dem sie zuerst eigenhändig ihr Haus renoviert hat.

So machte Roos Furore mit ihrer Autobiografie „Aufrecht geh’n. Mein liederliches Leben“, die sie 2022 bei Rowohlt vorgelegt hat. Doch warum will sie überhaupt eine „schrille Alte“ sein? „Zeitlebens hatte ich ein sehr seriöses Image“, antwortet Roos. „Das bin ich zwar auch, habe es von meinem Vater, der superkorrekt war.“ Doch sie berge zudem andere Charakteranteile in sich – von der Mutter, die eher tollkühn aufgestellt war. „Und das musste raus.“

Als Rosemarie Schwab wurde sie 1949 in Bingen in Rheinland-Pfalz geboren. Aus Gesangseinlagen zum Tanztee im elterlichen Hotel entstand die erste Platte der Neunjährigen: „Ja, die Dicken sind ja so gemütlich“. Der Rest ist Show-Geschichte. Bereits 1971 erhielt Roos mit „Mary’s Music“ ihre erste TV-Show. Ein Jahr später errang die aparte Brünette mit „Nur die Liebe lässt uns leben“ den dritten Platz beim Grand Prix d’Eurovision. Sie war auf der Bühne und im Film zu sehen. Wer sie kenne, wisse, dass sie hundertprozentig ein Bauchmensch sei, sagt Roos. Ihre vielseitige Laufbahn habe sich wie zufällig entwickelt. Und meist ohne Manager – „ich war immer selbstbestimmt“.

„Das war für mich alles so selbstverständlich. Heute ist so etwas ja Geschäft – aber damals war es Spaß“, erinnert sich die Künstlerin. Sie habe auch nie gefragt, wie viel Gage sie kriege. „Wenn ich etwas gerne getan habe, dann habe ich es auch ohne Gage macht. Für mich hat das zum Job dazugehört. Genau wie zu tanzen, Sketche aufzuführen, Theater zu spielen und Filme zu drehen. Immer neue Sachen zu tun“, resümiert die Sängerin, die nie Gesangsunterricht hatte. Damals habe man „Learning by Doing“ machen können. „Die Künstler bekamen Zeit, ihren persönlichen Stil zu entwickeln.“

Zwei geschiedene Ehen waren vielleicht der Preis für den Höhenflug. Die erste mit dem Franzosen Pierre Scardin, durch den die Sängerin auch in dessen Heimat groß Karriere hätte machen können – wochenlang gastierte sie Anfang der Siebzigerjahre im Pariser Unterhaltungstempel „Olympia“. Und die sehr turbulente, schlagzeilenträchtige zweite Ehe mit Entertainer Werner Böhm alias Gottlieb Wendehals (1941-2020), der sie ihren 1986 geborenen Sohn Julian verdankt. Heute lebt Roos nach eigener Aussage als zufriedener Single, der sich viel um seine Familie kümmert.

Am Herzen liegt der Künstlerin auch, sich gesellschaftlich einzubringen – etwa mit Spenden für Bedürftige wie der Hamburger „Tafel“. Und im Austausch mit möglichst vielen anderen älteren Damen, die könnten einander gut inspirieren. „Wir Ältere sollten viel mehr netzwerken. Vielleicht mache ich dazu einmal einen Podcast“, meint Roos. Sie bleibt also auch mit 75 im Unruhestand.

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