Ein Leben wie ein Roman: Der junge Tiernarr Konrad Lorenz (1903-1989), der sich dann als akademischer Karrierist an die Nazis anbiedert – und nach dem Krieg zum gefeierten Nobelpreisträger wird… Schon als sachliche Biografie böte das Leben des Übervaters der Verhaltensforschung süffiges Lesefutter. Ilona Jerger, als Ex-Chefredakteurin der Zeitschrift „Natur“ eigentlich prädestiniert für diesen Stoff, verwandelt Lorenz’ Leben jedoch in einen Roman – und verstolpert sich dabei, weil sie diese per se spannende Lebensgeschichte einwebt in unzählige Anekdoten über eine Vielzahl anderer Berühmtheiten der Zeitgeschichte.
Schon auf den ersten Seiten von „Lorenz“ treten so unterschiedliche historische Figuren wie der Motorrad-Erfinder William S. Harley, US-Präsident Teddy Roosevelt, der Öl-Milliardär John D. Rockefeller und der Verleger Joseph Pulitzer auf, dass dem Leser ganz schwindlig wird. Fesselnd wird Jergers Roman immer dann, wenn sie sich bescheidet und die große Weltgeschichte in kleinen Episoden des Alltags der Familie Lorenz widerspiegelt. Das war schon die Stärke ihres erfolgreichen Erstling-Romans „Und Marx stand still in Darwins Garten“, in dem sie uns die beiden Riesen der Geistesgeschichte durch ein (erfundenes) Treffen des Kommunisten und des Naturforschers näherbrachte.
Auch in ihrem neuen Roman führt sie Parallelfiguren ein, die Lorenz beleuchten sollen, etwa den ebenfalls durch Nazi-Lobhudeleien belasteten Martin Heidegger. Der Philosoph wird dann wiederum im vom Holocaust traumatisierten Dichter Paul Celan gespiegelt, dazu kommt noch eine Nonne, die die Schriften des Philosophen Edmund Husserl vor den Nazis rettet… Alles zu viel!
Den Ursachen der Verstrickung des sonst so sympathisch geschilderten Lorenz in die düstere NS-Ideologie kommt man trotz dieses Übermaßes an Bezügen nicht wirklich näher: Ist Lorenz nur ein Karrierist? Oder war doch der Wahn der „Erbgesundheit“ etwas, das sein ganzes Leben prägte? Dabei hat Jerger als Erzählerin der Geschichte extra eine junge Biologin erfunden, die aus der Distanz der Nachkriegsgenerationen wohl genau diese Einordnung leisten soll.
Doch diese Erzählhaltung wird nur behauptet, nicht durchgehalten – etwa in den besonders eindrücklichen Beschreibungen der sowjetischen Gefangenschaft des jungen Lorenz. Hier übernimmt wie so oft ein auktorialer Erzähler – die Erzählerin aus der Gegenwart scheint vergessen.
Ein derart pralles Leben zwischen Gänsen und Bibern, zwischen Hitler und Stalin lässt sich nur schwer zwischen Buchdeckeln bändigen. Der Versuch, darüber hinaus noch wie ein Panoptikum des ganzen 20. Jahrhunderts quasi nebenbei mit zu erzählen, erhellt den Menschen Konrad Lorenz nicht. So unterhaltsam das Buch geschrieben ist, so lehrreich die Anekdoten – weniger wäre mehr gewesen.
Ilona Jerger:
„Lorenz“. Piper Verlag, München, 336 S.; 24 Euro.