Jahrzehntelang hat er sich nicht getraut. Blieb in der Deckung, probierte sich aus in anderen Genres – bis sich Johannes Brahms im übergroßen Schatten Beethovens an seine erste Symphonie setzte. Die platzt bekanntlich mit einem erbarmungslosen Paukenrhythmus los, darüber eine lange Verzweiflungsgebärde in den Streichern. Wer will, kann da Autobiografisches herauslesen.
Thomas Hengelbrock kümmert dieser pochende Rhythmus nicht. Im Herkulessaal beschäftigt er sich lieber mit dem Formen der Phrasen und Entwicklungen, mit dem großen Ganzen also. Lotsenzeichen und präzise Einsätze, das signalisiert diese Haltung auch im weiteren Verlauf des Abends, braucht eine Edeltruppe wie das BR-Symphonieorchester ja kaum.
Dass Hengelbrock aus der Alten-Musik-Szene kommt, ist der ersten und zweiten Symphonie hier nicht unbedingt anzuhören. Am ehesten sprechen die straffen Tempi dafür – was so weit geht, dass das Finale der Zweiten heiß läuft in einem sich überschlagenden Furor. Hengelbrock zielt zwar auf eine Entfettung des Klangs. Doch das Ergebnis ist nicht unbedingt filigran: Dieser Brahms kommt aus der Mucki-Bude. Den Soli gibt der Gast zwar Raum, hält auch inne in geschmackvollen Rubati. Ansonsten bringt Hengelbrock einen ziemlichen Zug in den Abend, das grazile Allegretto der Ersten klingt wie ein lockerer Trab über eine Blumenwiese. Im Finale nimmt er die Angebote aus dem Orchester gern auf, die berühmte hymnische Melodie darf sich ganz natürlich entfalten. Dass die Erste mit ihrem theatralischen Final-Kracher vor der Pause gespielt wird, ist ohnehin selten. Doch der BR setzt bei seinem Brahms-Zyklus, der ursprünglich von Herbert Blomstedt dirigiert werden sollte, ganz auf die korrekte Abfolge – in der kommenden Woche betreut Simone Young die Nummern drei und vier.
Kollege Hengelbrock gibt derweilen auch Rätsel auf: So vehement und gehaltreich der Brahms bei ihm klingt, so flüchtig bis unstet ist vieles – was großteils an der Schlagtechnik liegt. Nur selten wirkt Hengelbrock zentriert und geerdet. Es ist ein plötzliches, punktuelles Kümmern, das man verfolgt. Selbst für die BR-Symphoniker ist das nicht immer einfach. Auch bei Repertoire-Hits wie diesen bräuchte ein derart wetterfestes Ensemble mehr Orientierung und Struktur. Oder buddhistische Souveränität, wie sie parallel gerade Zubin Mehta bei seinem Brahms-Zyklus mit den Münchner Philharmonikern pflegt.