Geschichten vom Abschied

von Redaktion

URAUFFÜHRUNG „Die Erde über mir“ von Schauburg und Münchener Kammerorchester

VON TOBIAS HELL

Abschiednehmen fällt selten leicht – sei es nun von lieb gewonnenen Orten, Dingen oder Menschen. Und doch ist es ein wichtiger Aspekt unseres Lebens, der in der jüngsten Produktion der Münchner Schauburg nun aus unterschiedlichen Blickwinkeln unter die Lupe genommen wird. Das Erste, von dem es sich in der Inszenierung „Die Erde über mir“ zu verabschieden gilt, ist das Schubladendenken. Mag es in der eigenen Bubble auch noch so bequem sein, da man hier normalerweise mit Gleichgesinnten über gemeinsame Interessen debattiert oder dieselbe Musik hört. Richtig spannend wird es nämlich meist erst im Dialog mit neuen Bekanntschaften. Und einen solchen Dialog führt das Ensemble der Schauburg hier nun mit dem Münchener Kammerorchester (MKO).

An erster Stelle müssen vor allem Yuki Kasai, Andrea Schumacher, Indrė Kulė und Bridget McRae genannt werden, die nicht nur in Quartett-Formation durch ihr einfühlsames Zusammenspiel überzeugen. Alle vier Musikerinnen greifen auch aktiv ins Geschehen ein und steuern zu diesem Kaleidoskop aus Kindheits- und Jugenderinnerungen persönliche Erlebnisse in ihrer jeweiligen Muttersprache bei. Dabei vermitteln sich die Emotionen auch ohne Kenntnis von Japanisch, Litauisch oder Englisch eindringlich. Ebenso wie in jenen berührenden Momenten, in denen ihre Instrumente den Mitgliedern des Schauspielensembles eine zweite, innere Stimme geben.

Mit solch starken Bildern gelingt es Regisseur und Ideengeber Anselm Dalferth immer wieder, sein divers zusammengewürfeltes Kollektiv zu einer homogenen Einheit zusammenzuschweißen. Vor allem weil hier alle einander zuhören. Auf der einen Seite die Schauspielerinnen und Schauspieler, wenn das MKO Auszüge aus Mozarts „Requiem“ anstimmt, das hier in einem knackigen Arrangement von Nicholas Morrish erklingt, zu dem sich später eine E-Gitarre und andere elektronische Klangflächen mischen. Aber auch hinter den Notenpulten ist amüsiertes Schmunzeln zu beobachten, wenn Sibel Polat ihre frechen Monologe temporeich heraussprudeln lässt. Ebenso wie bei einer tragikomisch absurden Abschiedsszene zwischen ihr und Tobias Radcke, bei der kaum ein Auge trocken bleibt.

Denn obwohl über dem Ganzen stets eine gewisse melancholische Poesie schwebt, lässt es die Regie nicht an humorvollen Episoden mangeln. Dies etwa auch beim wandlungsfähigen David Campling, der in der Premiere kurzfristig für einen erkrankten Kollegen übernahm und als 15-jähriges Mädchen in der „Dr. Sommer“-Sprechstunde ähnlich souverän agiert, wie in seiner zweiten Rolle als 72-jähriger Pensionist.

Wie schon bei der jüngsten Kooperation mit der Staatsoper hat die Münchner Schauburg auch mit diesem neuen (und hoffentlich nicht letzten) Ausflug in klassische Gefilde wieder absolut ins Schwarze getroffen. Ein Projekt, das beide Seiten aus der jeweiligen Komfortzone holt und gerade dadurch gleichermaßen authentisch wie bewegend über die Rampe kommt. Und mit ein bisschen Glück beim einen oder der anderen vielleicht die Neugier weckt, auch mal ins jeweils andere Genre hineinzuschnuppern.

Nächste Vorstellungen

heute und am 16. Januar; Telefon 089/233 371 55.

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