Katharina Thalbach trägt einen Schnurrbart, und er steht ihr erstaunlicherweise gut. Mit ihren durchdringenden, großen Augen verleiht die Schauspielerin ihrer Rolle des Detektivs Hercule Poirot an Bord des Orientexpress in der Berliner Komödie am Kurfürstendamm fast eine unheimliche Aura, mit der sie sich – so das Urteil von Publikum und Kritik – ein Denkmal setzt. Die gebürtige Ost-Berlinerin wird heute 70 und blickt auf eine lange Karriere auf der Bühne und vor der Kamera zurück.
Denn ihren Durchbruch am Theater hatte sie bereits mit 15 – als Hure in der „Dreigroschenoper“, inszeniert von Erich Engels. Im Fernsehen war sie zuletzt als Altkanzlerin in „Miss Merkel – ein Uckermark-Krimi“ zu sehen. Thalbach, die einer Künstlerfamilie entstammt und gerne mit Krawatte und wuchtigen Mützen unterwegs ist, ist aus der deutschen Theater- und Filmszene nicht wegzudenken. Nicht zuletzt, weil sie in Volker Schlöndorffs „Die Blechtrommel“ aus dem Jahr 1979 Brausepulver im Bauchnabel hatte.
Anlässlich ihres runden Geburtstags feiert das Berliner Ensemble mit Weggefährten morgen Abend die Schauspielerin und ihr bisheriges Lebenswerk. Schon lange kennt Thalbach diese Bühne, hat sie doch als kleine Katharina ihre ebenfalls schauspielende Mutter Sabine dorthin begleitet, bevor diese mit nur 34 Jahren starb. Jetzt führt die Jubilarin die Familiengepflogenheiten fort und teilt sich am Kurfürstendamm in „Mord im Orientexpress“ eine andere Bühne mit Tochter Anna und Enkelin Nellie Thalbach – die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten zu sein scheinen.
Mit dem Älterwerden hat Thalbach kein Problem – im Gegenteil: In der Sendung „3 nach 9“ sagte sie einmal, dass sie sich auf jedes neue Lebensjahr freue. „Ich freue mich schon – und hoffe darauf –, wenn ich sagen kann, ich bin 101.“ Die Ansicht, dass Altwerden auch ein Privileg ist, habe viel mit dem frühen Tod der Mutter zu tun. Und auch wenn die meisten Menschen mit 70 längst in Rente sein dürften, macht Thalbach weiter: Der „Mord im Orientexpress“, den sie auch inszeniert hat, geht heuer im Mai in eine neue Runde.
Die Berlinerin wirkte zuletzt an einem Solidaritätsabend gegen Antisemitismus beim Berliner Ensemble mit. An der Seite der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer, des Pianisten Igor Levit und Publizisten Michel Friedman las sie aus Karl Valentins „Die Fremden“ gegen das oft massive Schweigen der Kulturbranche in Bezug auf Antisemitismus an. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine gehörte die Schauspielerin zu den Unterzeichnerinnen von Sahra Wagenknechts und Alice Schwarzers umstrittener Petition.
„Die Welt ist voller Überraschungen. Ich würde gern noch mal studieren, am liebsten Kunstgeschichte“, sagte die Künstlerin einst – und verriet, dass die Ägyptologie als Studienfach bei ihr vor langer Zeit im Rennen gewesen sei. Wenn jedoch Hollywood anriefe, würde sie nur eine Rolle spielen wollen – ein Wurzelwesen mit deutschem Akzent, das man bis zum Mittelpunkt der Erde jagen und töten muss. An Ideen mangelt es dem Geburtstagskind nicht. Zum Glück.