Schwindlig gespielt

von Redaktion

PREMIERE Claudia Bossard inszenierte „Der Zauberberg“ am Volkstheater

VON MICHAEL SCHLEICHER

Der Berg ruft. Zwar dauert der Aufstieg im Münchner Volkstheater immerhin vier Stunden bei einer Pause, was entschieden auch rascher gegangen wäre. Dafür ist die Seilschaft herrlich auf Zack, bestens in Form und obendrein unerschrocken. Zudem hat Romy Springsguth die Bühne des Hauses im Schlachthofviertel in ihrer Breite und Tiefe weit aufgerissen, sodass wir regelmäßig Tableaus bestaunen können, die absurd, wahnwitzig, berührend, saukomisch oder wunderbar bescheuert sind. Diese Aussicht entschädigt dann für den Leerlauf, den es in Claudia Bossards Inszenierung von Thomas Manns „Der Zauberberg“ eben auch gibt.

In der vergangenen Spielzeit hat die Schweizer Regisseurin am selben Ort beide Teile von Goethes „Faust“ eingerichtet. „Feeling Faust“ fiel – trotz einiger Schwächen zu Unrecht – beim Publikum durch und ist bereits wieder aus dem Repertoire verschwunden. Nun hat sich Bossard Manns vor 100 Jahren erschienenen Roman vorgenommen und den „Zauberberg“ als Steinbruch genutzt; ein zugegeben naheliegendes, allerdings treffendes Bild.

Aus der Geschichte des angehenden Hamburger Ingenieurs Hans Castorp, der für drei Wochen seinen Vetter im Lungensanatorium in den Davoser Alpen besucht, doch fasziniert von Siechtum und Szenerie sieben Jahre bleiben wird, hat sie jene Sequenzen, Sätze und Figuren herausgebrochen, die ihr taugen. So erzählt sie – mal erinnert das an Tarantino, mal an Kubrick – von einer wohlsituierten Gesellschaft, die sich weitmöglichst vom Treiben im „Flachland“ zurückzieht, um sich bloß nicht ernsthaft mit dem auseinandersetzen zu müssen, was „drunten im Leben“ droht. Debatten um Auswege aus dem Dilemma Europas – seien es idealistisch-humanistische, religiöse oder totalitäre – bleiben hier Schaugefechte in sprichwörtlich dünner Luft, wahlweise auf der Slackline. Thomas Mann schrieb das einst unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs; freilich ist der Sprung in die Gegenwart kein allzu anstrengender.

Bossard vollzieht ihn am eindringlichsten in der einzigen Szene, in der es echt eng wird: Aufklärer Settembrini steht da mit Castorp in einer schmalen Box, nach und nach drängen weitere Gestalten dazu, und hebt zur Analyse der Zustände an. Da der Welt jedoch nur wenig Zeit bleibt, stolpern, purzeln, fallen und rasen die Sätze aus Settembrinis Mund. Jakob Immervoll glückt bei diesem Italiener eine wunderbare Figurenzeichnung, die liebevolle Karikatur und ernsthaftes Interesse vereint. Er trägt den Abend ebenso wie die stets überzeugende Nina Steils als Dr. Krokowski, dem Arzt mit psychoanalytischem Ansatz: „Der Körper ist ja warm, das Psycherl noch nicht.“ Jan Meeno Jürgens lässt seinen Castorp nachvollziehbar in die Geheimnisse und Leidenschaften des Kliniklebens eintauchen; er findet in Steffen Link als Castorps Vetter Ziemßen einen kernigen Gegenpart.

Dieser „Zauberberg“ beeindruckt also vor allem durch seine Ensembleleistung; nur in manchen Szenen wird der Bogen überspannt. Hier wäre es an Bossard gewesen, zu bremsen, zu kanalisieren und zu ordnen. Das hätte es gerade auf der weiten Fläche dieser großartigen Bühne dringend gebraucht – und wäre zudem der Textverständlichkeit zuträglich gewesen.

Für Ordnung in den vier Stunden sorgen vor allem diese drei: Anton Nürnberg als Saaltochter und der Concierge von Lorenz Hochhuth haben zwar kaum Textanteile, sind allerdings unabdingbar für das Funktionieren der Inszenierung. Und schließlich ist da Alexander Yannilos an Schlagwerk und Soundmaschine. Er verpasst der Produktion ihr ganz eigenes, mitreißendes Herzklopfen. Der Mann kann Rhythmus – und hält ihn bis zum fatalen Schluss.

Nächste Vorstellungen

am 25. Januar sowie am 3., 11. und 12. Februar; Telefon 089/523 46 55.

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