Schaurig schön. Nach „Die Cousinen“ katapultiert auch ihr zweiter auf Deutsch erschienener Roman die Schriftstellerin Aurora Venturini (1921-2015) neun Jahre nach ihrem Tod in die nobelsten Reihen der Weltliteratur. Selbst in ihrem Heimatland Chile erfuhr sie erst kurz vor ihrem 90. Geburtstag Kultstatus. In einem früheren Roman, „Wir, die Familie Caserta“, erzählt Chela, die Ähnlichkeit mit der Autorin hat, von ihrer Familie, ihrem Leben auf einem großen Landgut, der elterlichen Gefühlskälte und dem kleinwüchsigen und geistig behinderten jüngeren Bruder, dem sie als Einzigem zugetan ist. Vor allem erzählt sie aber von sich. Hochbegabt, befindet sie sich jenseits aller Normen. Sie ist schmutzig, herrisch, rassistisch, bösartig. Viel zu jung schafft sie – als wäre das alles nichts – Abitur und Universität, fügt sich nun auch äußerlich den gesellschaftlichen Gepflogenheiten, schreibt Artikel und Bücher, findet Anerkennung in der Welt der Intellektuellen, darunter Pablo Neruda, geht nach Paris, später nach Sizilien, wo sie die Liebe ihrer Großtante erfährt, einer alten, reichen Gutsbesitzerin und Unternehmerin, und dem Okkultismus verfällt, um am Ende aufs nunmehr eigene chilenische Landgut zurückzukehren. In ihrer Genialität immer frei und unabhängig, bleibt sie dennoch schicksalhaft gefesselt durch die Fatalität ihrer familiären Herkunft. Tief in ihrem Innern ist sie noch immer das einsame, böse Mädchen von einst. Faszinierend und abstoßend zugleich. Groß und abscheulich. Eine meisterlich erzählte Lebensgeschichte. Sie lässt einen nicht so schnell wieder los. ltz