Eine Frage des Interesses

von Redaktion

Schauspielerin Sandra Hüller könnte heute für den Oscar nominiert werden

VON MICHAEL SCHLEICHER

„Warum fragen Sie das?“ oder: „Woher soll ich das wissen?“ Sie antwortete damals auf beinahe jede Frage mit einer Gegenfrage. Das machte das Interview mit Sandra Hüller 2007 in der Kantine der Münchner Kammerspiele zu einer recht zähen Veranstaltung. Dabei wollte die Schauspielerin, die 1978 im thüringischen Suhl geboren wurde, von sich aus unbedingt über ihre Rolle in „Mamma Medea“ sprechen.

Gegenfragen können Spannung in eine Unterhaltung bringen. Doch wenn jede Antwort mit einem Fragezeichen endet, stirbt der Dialog, bevor er zu leben begonnen hat. Nach gut 20 Minuten schaltete ich das Tonband ab. Und Hüller stellte eine weitere Frage: „Was, schon?“

Wenn heute in Hollywood die Nominierungen für die Oscars bekannt gegeben werden, stehen die Chancen gut, dass Hüllers Name in der Kategorie „Beste Schauspielerin“ aufgerufen wird. Es wäre eine seltene Ehre für eine Deutsche: Die Dietrich war mal für den Oscar nominiert; Luise Rainer hat ihn zwei Mal gewonnen. Das war 1937 und 1938 – seither: Grillenzirpen. Hüller könnte das jetzt beenden.

Die Schauspielerin war seit 2007 Gast an den Münchner Kammerspielen; von 2012 bis 2015 gehörte sie fest zum Ensemble. Heute arbeitet sie am Schauspielhaus Bochum, wo Johan Simons, der Ex-Kammerspiele-Chef, seit 2018 Intendant ist. Er holte Hüller in den Pott.

Parallel zu ihrer Münchner Theaterzeit machte sie sich im Kino einen Namen: Ihr Langfilmdebüt gab sie in Hans-Christian Schmids „Requiem“. In dem Drama, das auf einer wahren Geschichte beruht, ist sie als Michaela Klinger zu erleben. Die Studentin glaubt, besessen zu sein, und sucht Hilfe bei einem Exorzisten. Für ihr eindrückliches, vielschichtiges Spiel wurde Hüller 2006 bei der Berlinale geehrt. Eine Kinoarbeit, die bis heute nichts von ihrer Wucht und Dringlichkeit verloren hat.

Das gilt auch für die Komödie, die sie 2016 zwar endgültig bekannt gemacht hat, der man aber Unrecht tut, sie lediglich als solche zu begreifen. In „Toni Erdmann“ war Hüller die Unternehmensberaterin Ines, die es in der Welt der Wirtschaft geschafft hat. Trotz des Erfolgs wird diese Ines jedoch nie ihre kleinbürgerliche Herkunft loswerden, die Provinz in sich. Aus der Verbissenheit, diese zu überwinden, ziehen Figur und Film ihre Komik – und die Tragik. Erst als Ines ihren eigenen „Toni Erdmann“ akzeptiert, ist sie wirklich frei. Andere Schauspielerinnen hätten daraus vor allem eine Slapstick-Nummer gemacht. Hüller hat die Not der Figur erkannt – und davon respektvoll sowie frei von Eitelkeit erzählt. Dass sie obendrein Slapstick beherrscht, tat das Übrige.

Vielleicht liegt darin das Geheimnis ihres Spiels: Hüller nimmt tatsächlich nur Rollen an, auf die sie neugierig ist – sei es Irma, die Hofdame der Kaiserin Elisabeth in „Sisi & ich“ (2023), oder die „Süßwaren-Marion“ im Lagerhausfilm „In den Gängen“ (2018). Sei es die Autorin, die möglicherweise ihren Mann ermordet hat („Anatomie eines Falls“, 2023) oder Hedwig, die Gattin des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß („The Zone of Interest“, 2023). Für ihre Leistungen in den beiden letztgenannten Filmen könnte sie für den Oscar nominiert werden. All diesen Figuren ist gemein, dass Hüller ihnen begegnet, ohne Antworten zu kennen. Und Fragen stellen kann sie.

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