Die Kunst der sanften Subversion: Eben noch wähnte man sich beim Konzert von Mary Halvorsons Sextett in der Münchner Muffathalle von wohligen Balladenharmonien eingehüllt, da findet man sich unversehens in einer heftigen Gruppendiskussion wieder, ohne dass man genau sagen könnte, wo die Übergänge waren.
Ein anderes Stück beginnt als Trio von Gitarre, Bass und Schlagzeug in einem rockigen Groove, ehe Trompete und Posaune ein choralartiges Thema intonieren, bevor die anfängliche Vehemenz gesteigert zurückkehrt, wobei nun die durchweg fulminante Patricia Brennan beweist, dass das Vibrafon ein Perkussionsinstrument ist. Als Gitarristin ist die 43-jährige US-Amerikanerin Halvorson seit Langem einzigartig mit ihren mittels Pedalen verschliffenen, verschlierten Tonketten, als wolle sie jeder exakten Tonhöhenbestimmung entkommen. Mit ihrem aktuellen Sextett, ihrer bisher reifsten Formation, für die sie alles Material geschrieben hat, beweist sie auch als Komponistin ein unwiderstehliches Formgefühl, wobei die Formen stets ihre eigenen sind: Kein Stück gleicht dem anderen in seinen Stimmungswechseln, der Reihenfolge der Solisten, der Variation der Dynamikstufen.
So entsteht ein einnehmend eigenwilliger Gegenwartsjazz, der Konventionen ganz ohne Bilderstürmerei souverän ignoriert. Mitunter fast hymnische Themen, die in der Improvisation dann manchmal eine leicht surreale Atmosphäre annehmen können, dazu eine immer wieder überraschende Stimm- und Linienführung – so paradox es klingt: ein Triumph des ego-freien Eigensinns. Der BR hat mitgeschnitten und seinem bedrohten Kulturprogramm so eine Sternstunde hinzugefügt, nachzuhören am 8. März auf Bayern 2.