Dem Instrument wohnt das Scheitern inne, meint Peter Pichler. Er muss es wissen. Der Münchner ist der aktuell letzte lebende Meister des Trautoniums, das für den Aufbruch der Musik stehen sollte und in Vergessenheit geriet. Einerseits. Andererseits trat es einen unbemerkten Siegeszug in der modernen Musik und der musikalischen Illustration von Filmen an, ließ etwa die Vögel in Hitchcocks Klassiker „The Birds“ mordlüstern krächzen, und wird heute Abend gar zum Akteur auf der Bühne der Kammerspiele. Pichler und sein Mixturtrautonium sind Mitspieler in „Als lebten wir in einem barmherzigen Land“, der Bühnenfassung von A. L. Kennedys Roman.
„Es geht um das Scheitern der Menschheit als erster Spezies, die sich selbst vernichtet“, verrät Pichler in einer Probenpause. Es gehe auch um Aufbruch, in diesem Fall den der Menschheit nach der Pandemie. Blickt man in die Geschichte des Instruments, muss man zu dem Schluss kommen, dass es dafür kein passenderes geben könnte. Es stammt selbst aus einer Zeit des Aufbruchs, nach dem Ersten Weltkrieg. Die spannende Ungewissheit nach Corona fasst Pichler mit seinem Mixturtrautonium in Klänge – live im Dialog mit der Schauspielerin Wiebke Puls und ihrem Kollegen Edmund Telgenkämper.
Das Instrument
Um die Erfindung dieses Instruments zu verstehen, kann eine Zeitreise helfen. „Berlin war nach London und New York die drittgrößte und, wie ich meine, die interessanteste Stadt der Welt“, berichtet Pichler. „Drogen waren legal, Josephine Baker fuhr mit einer von einem Vogel Strauß gezogenen Kutsche durch die Straßen.“ Die Stadt sei erfüllt gewesen von der Lust auf Neues. Beseelt von diesem Geist, tat sich der Komponist Paul Hindemith mit dem Ingenieur Friedrich Trautwein zusammen, um ein Instrument zu entwickeln. Das Ergebnis war das Trautonium, benannt nach seinem Erfinder: das erste serienmäßig hergestellte elektronische Instrument der Welt. 1930 wurde es erstmals öffentlich vorgeführt, Hindemith hatte eigens ein Stück dafür komponiert. Beteiligt waren auch der Pianist Rudolph Schmidt und Oskar Sala, der zum bedeutendsten Künstler und Fortentwickler des Trautoniums wurde. Es ist nicht wohltemperiert und speist sich aus der Obertonreihe. „So entstehen unglaublich warme Klänge“, erklärt Pichler. Das Trautonium hat keine Tasten, sondern wird mit einer Saite bedient, die auf eine Metallschiene gedrückt wird. „Ich kann mittels Hilfstasten bestimmte Töne treffen oder nahtlos auf- oder abwärtsgleiten.“ Während die Ur-Variante monofon war, entwickelte Sala mit dem Mixturtrautonium eine zweisaitige Variante, die zudem Klangfarben verändern oder Akkorde aus der Obertonreihe zuschalten kann. Damit ist das Instrument, wenngleich optisch einer Orgel nicht unähnlich, näher an der indischen Sitar oder der arabischen Oud, wo angeschlagene Töne Passivsaiten zum Klingen bringen. Es markiert den Bruch mit 500 Jahre alten Hörgewohnheiten, die auf festgelegten Tonhöhen basieren. Das Instrument spaltete die Künstler der Zeit: „Während Hindemith oder Harald Genzmer begeistert waren, fanden es Stockhausen oder Schönberg, platt gesagt, fürchterlich.“
Der Künstler
Was den Vater der Intuitiven Musik und den Vordenker der Zwölftontechnik schreckte, reizt Pichler. Daheim in der Punk-Bewegung und klassisch ausgebildet an Renaissance-Laute und Gitarre unter anderem am Mozarteum Salzburg, kam er durch Filme zum Trautonium: „Oskar Sala, den ich in den Neunzigern kennenlernen durfte, hat viele Soundtracks gemacht, darunter die Edgar-Wallace-Produktionen mit Joachim Fuchsberger.“
Seit den Achtzigern beschäftigt sich Pichler intensiv mit dem Instrument und beherrscht heute als einziger Künstler weltweit sämtliche klassischen Kompositionen dafür – fügt obendrein seinerseits neue hinzu. Er wagte, was sich Fritz Lang nicht traute, und begleitete „Metropolis“ live mit seinem Mixturtrautonium, führte das Instrument als Erster aus Europa hinaus und tourte durch Australien. Sein persönlicher Karriere-Höhepunkt aber spielt in seiner Heimatstadt: „Die Nationalsozialisten und der Faschismus haben verhindert, dass aus dem Trautonium das Instrument der Zukunft wurde.“ Zwar war zunächst vor allem Propagandaminister Joseph Goebbels interessiert gewesen, hat später aber das Interesse verloren. „Hätte das Trautonium irgendwas mit den Nazis zu tun gehabt, hätte ich es nie gespielt“, sagt Pichler. Als sich die Gelegenheit bot, in der Hochschule für Musik und Theater, dem ehemaligen Führerbau, zu konzertieren, sagte er zu: „Ich habe also in Hitlers Kaminzimmer gespielt, in dem 1938 Hitler mit Chamberlain, Mussolini und Daladier das fürchterliche Münchner Abkommen geschlossen hat.“ Er habe atonale und – laut Nazi-Einstufung – „entartete Musik“ gespielt und „alle Nazi-Vibes vernichtet“.
Von heute an schreibt er die Geschichte jenes Sounds fort, der der Klang der Zukunft hätte werden können. Die Geschichte des Trautoniums, fasst Pichler zusammen, erzähle auch die ganze Welt des Scheiterns.