Mit virtuosen Noten kann man blenden. Aber die Pausen! Da zeigt sich wahres Verständnis: Wie Tsotne Zedginidze bei Schönbergs Klavierkonzert vor der Kadenz die Generalpause nachklingen ließ, ihre Spannung aufnahm, im exakt richtigen Moment seine flirrenden Akkorde aus der Stille stiegen – das kann nur einer, der sich in Musik versenkt, statt sie zur Selbstdarstellung zu nutzen. Das war kein Dressurakt.
Zedginidze wurde, man muss es erwähnen, 2009 geboren. Beim ersten Anblick wirkte er sogar jünger. Doch sobald er im ausverkauften Herkulessaal am Klavier saß, wurden auch Nicht-Esoteriker vom Gefühl angeweht, dass etwas in ihm schon länger auf der Welt ist. Ja, ein bisserl eine Sensation, wie souverän er das wilde Werk technisch bewältigte. Dazu sein Gespür für Klangmischungen – auch übrigens in der Debussy-Zugabe.
Das wahre Wunder aber, das war die Altersweisheit, die aus seinem Spiel sprach. Sein tiefes Hineinhorchen in die Musik. So kundig er Fingerzeige gab auf die Zwölfton-Struktur – mehr als das Moderne betonte der junge Solist das Retrospektive. Die insgeheime Sehnsucht des alten Schönberg im Exil nach Spätromantik, Sanglichkeit und Wien.
In Sir Simon Rattle und dem Bayerischen Landesjugendorchester hatte er Partner, die das kongenial und feinfühlig mittrugen. Zuvor hatten sie Hindemiths „Rag Time (wohltemperiert)“ mit harschem Humor nicht als rippenknuffenden, jazzbeschwingten Schwank gestaltet, sondern als scharfe Auseinandersetzung mit dem Überkommenen. Und legten, nur minimal durch Profis vom BR-Symphonieorchester verstärkt, beim Merkur-Abo-Konzert mit Mahlers erster Symphonie ihrerseits eine reife Leistung in jungen Jahren hin. Seit zwei Jahrzehnten ist das BR-Ensemble Pate des Landesjugendorchesters. Mariss Jansons, der 2019 verstorbene Chefdirigent der BR-Symphoniker, stand bereits am Pult. Für Rattle war es die erste Zusammenarbeit mit den jungen Musikerinnen und Musikern. In seiner Zeit bei den Berliner Philharmonikern hatte er ja gezeigt, wie sehr er sich für Jugendarbeit interessiert – und welche Früchte das tragen kann.
Auch bei Mahler ein beeindruckendes handwerkliches Niveau. Und dass es zur Routine fehlte, war gerade ein Quell der Lebendigkeit. Unter Rattles fordernder, engagierter, klarsichtiger Führung erlebte man Mahlers erste große Auseinandersetzung mit der Welt – und dies als eine frische Neubegegnung. Packend wurde erzählt vom kosmischen Urnebel, von der Natur, von der Gesellschaft und vom Ich. Schön herausgestellt das Uneigentliche im Ländler, das Trio wurde zur lockenden Gemütlichkeitsfalle.
Inmitten des parodistischen Trauermarschs dann die Ahnung, dass Musik und Mahler kurz ihre wahre, verletzliche Sehnsucht blicken ließen, bevor der Tod anklopfte – und im Finale ein triumphierender Held aufmarschierte, um das Dunkle zu überwinden. Doch alles, so hörte man an diesem Abend, stand nur auf tönernen Füßen – eine Selbstbehauptung, die zu demonstrativ alle Zweifel wegwischte. Lange, verdiente Ovationen.
Hörfunk-Aufzeichnung
am 28. Februar, 20.05 Uhr, auf BR Klassik.