Bei Rudolf Buchbinder denkt man fast automatisch an Ludwig van Beethoven. Einfach weil der 77-jährige Wiener alle Sonaten und Klavierkonzerte gefühlte unzählige Male gespielt hat. In der Münchner Isarphilharmonie kommt es nun zum Äußersten: In vier Konzerten führt Buchbinder mit vier Orchestern die fünf Klavierkonzerte auf.
Müssen Sie sich angesichts der verschiedenen Orchester stark umstellen?
Nein. Das sind mir wohlbekannte Orchester. Ich habe so etwas Ähnliches schon einmal in Wien gemacht, davon gibt es ja eine CD-Box. Die Münchner Reihenfolge der Konzerte, nämlich viertes, drittes, zweites, erstes, fünftes, hat sich zufällig ergeben. Auch in meinen Zyklen mit den Beethoven-Sonaten gehe ich nie chronologisch vor. Ich bin kein Oberlehrer.
Welches Beethoven-Konzert haben Sie als allererstes gespielt?
Das erste, und zwar mit zehn Jahren. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie es genau war. Aber es gibt Fotos von diesem Auftritt im Großen Saal des Wiener Musikvereins. Ich wundere mich nur heute, wie ich das als kleiner Bub, als Gschrapp, wie wir in Wien sagen, spielen konnte. Man ist ja anfangs vollkommen unbekümmert. Und unflexibel. Wir haben als Studenten zum Beispiel gehört, wie Pablo Casals Bachs Cello-Suiten gespielt hat – und waren entsetzt von seinen Interpretationen, vor allem von den Rubati. Erst mit den Jahren wird man freier, das haben wir damals nicht verstanden.
Sie nehmen sich also immer mehr Freiheiten im Konzert?
So ist es. Ich bin sehr spontan, es ist jeden Tag anders. Meine Frau sitzt ja Gott sei Dank immer im Publikum, und sie ist oft überrascht von den Neuigkeiten. Ich mache das aber nicht bewusst. Ich weiß gar nicht, warum ich es tu’.
Andererseits leisten Sie sich doch nie Extravaganzen, weil Sie sich und der Welt nichts mehr beweisen müssen.
Es gibt immer eine gewisse Linie. I do it my Way. Natürlich habe ich eine gewisse Sicherheit, aber von dieser Basis aus kann ich mir einiges erlauben. Wenn man bei einer Stelle aufpassen muss, ob sie richtig kommt oder nicht, dann dürfte man doch das Stück gar nicht spielen. Sonst ist man nicht imstande, Musik zu machen. Was nicht heißt, dass ich nie nervös bin. Je älter ich werde, desto nervöser bin ich.
Es gibt also auch immer mehr Rituale am Konzerttag?
Das nicht. Mein einziges Ritual ist: Ich versuche, mich um das Konzert so spät als möglich zu kümmern. Ich habe einmal mit Lorin Maazel über Nervosität geplaudert. Er hat mir zwei Dinge geraten: „Rudi, konzentriere dich nur auf den ersten Ton, alles andere kommt von selbst.“ Und: „Rudi, übe um Himmels willen nichts vor dem Konzert im Künstlerzimmer. Wenn dir dort ein Fehler passiert, dann hat das schlimme Auswirkungen aufs Konzert.“
Hören Sie sich Ihre älteren Aufnahmen an? Und ärgern sich vielleicht darüber?
Meine ersten Platten sind noch originalverpackt, die will ich gar nicht hören. Mit meinem ersten Beethoven-Sonatenzyklus, den ich vor über 40 Jahren aufgenommen habe, identifiziere ich mich überhaupt nicht mehr. Aufnahmen aus meiner Kindheit faszinieren mich aber. Auf meiner Homepage gibt es die Aufnahme einer Chopin-Etüde. Da spiele ich eine falsche Note fast am Ende. Aber ansonsten bin ich überrascht bis erschrocken, wie viel man in diesem Alter instinktiv erfassen kann. Man darf einfach die Spontaneität nicht verlieren, so sehr man auch über die Werke grübelt und Erfahrungen gewinnt.
Für wen spielen Sie überhaupt?
Für die Musik, für den Komponisten. Ich bin nur ein Ausübender. Das Publikum geht doch zu einem Interpreten, um den Komponisten zu hören.
Sie sind in Wien musikalisch sozialisiert worden. Führt so etwas zwangsläufig zu Beethoven?
Wahrscheinlich. In unserer kleinen Wohnung hing früher Beethovens Maske, insofern hat er mich von Geburt an verfolgt. Beethoven war und ist eine zentrale Aufgabe für mich. Er ist mir wichtig als Komponist und als Mensch. Wenn ich Beethoven treffen könnte, würde ich ihm keine Fragen stellen. Ich würde 24 Stunden lang unsichtbar in einer Ecke von Beethovens Zimmer sitzen wollen.
Wäre er Ihnen sympathisch?
Ich glaube schon. Er war nicht unsympathisch. Er sehnte sich zeit seines Lebens nach Liebe und Wärme. Das spürt man besonders in seinen Klaviersonaten. Am Schluss von Opus 7 kommen einem doch die Tränen.
Sie sind Pianist, dirigieren vom Flügel aus und sind in Grafenegg auch noch Festival-Intendant. Wird’s Ihnen manchmal zu viel?
Überhaupt nicht. Grafenegg ist eigentlich mein Hobby. Und vom Klavier aus dirigieren, das habe ich über 500 Mal gemacht. Ich empfinde das als große, partnerschaftliche Kammermusik. Die Arbeit passiert doch in der Probe. Beim Konzert gebe ich nur mehr Impulse, da sind die Lippen und die Augen wichtig.
Empfinden Sie das Festival, wo bald auch ein Saal nach Ihnen benannt wird, als eine Art Vermächtnis?
Ich bin zutiefst bewegt und gerührt, dass ich das alles noch erleben kann. Sie sprechen jetzt gerade von der ehemaligen Reitschule. Die wird vergrößert, und vom neu gestalteten Saal kann man dann in den Garten schauen. Mit 550 Plätzen wird das ein idealer Kammermusiksaal. Ich bin jetzt schon 17 Jahre in Grafenegg. Und keiner hätte sich anfangs den Erfolg des Festivals in seinen kühnsten Träumen ausmalen können. Wir haben dort Kultur- und Musikerziehung geleistet und viele zu ihrem ersten Konzertbesuch gebracht. Unsere Jugendförderung ermöglicht es jungen Zuhörern, dass sie für zehn Euro Eintritt richtige Weltstars erleben können. Mich stört es zum Beispiel gar nicht, wenn die Menschen nach einem Satz applaudieren. Aber wenn sie wiederkommen und auch in andere Säle gehen, dann empfinde ich das als großen Gewinn.
Und machen Sie nach den vier Grafenegg-Wochen immer Urlaub?
Ich bin kein Urlauber – zum Leidwesen meiner Frau.
Das Gespräch führte Markus Thiel.
Konzerte
am 6., 15. und 25. Februar sowie am 13. April;
Telefon 089/93 60 93.