Ein Tisch ist manchmal eben mehr als ein Tisch. Am Dienstagabend im Festsaal des Alten Rathauses tragen die langen, geschmackvoll dekorierten Tafeln Namen. Zum Beispiel jenen von Rahel Varnhagen (1771-1833). Die jüdische Autorin stellte einst fest: „Wissen ist eine Vorratskammer, ein Vorrat; Wissen ist geistiges Haben.“ Varnhagen selbst hat diese Vorratskammer zeitlebens reich befüllt, nicht zuletzt durch ihren Salon, ein Dorado des Diskurses und des Voneinander-Lernens.
So wie das rund 200 Jahre später auch die Hauptperson dieser Feier zu tun pflegt. Es ist also eine charmante, eine treffende Idee, Varnhagen zu einer der Namens-Patinnen beim Festakt zu Rachel Salamanders 75. Geburtstag zu machen. Zumal die Publizistin obendrein mit der Moses-Mendelssohn-Medaille geehrt wird. Weitere Tische tragen hier übrigens die Namen etwa von Else Lasker-Schüler, Nelly Sachs und Rose Ausländer: Autorinnen, die Salamander durch ihre Literaturhandlung seit 1982 zurück ins Bewusstsein der nicht-jüdischen Mehrheit geholt hat.
Die Jubilarin sei ein „Glücksfall für unsere Stadt“, erklärt denn auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, der gemeinsam mit der Mendelssohn-Stiftung eingeladen hat. Dabei ver-gisst er nicht zu erwähnen, dass sie „mehrmals“ den Job als Kulturreferentin ausge-schlagen habe. Wer sich ein bisschen mit Salamanders Schaffen auseinandersetzt (gerade hat sie ihren Vorlass der Monacensia geschenkt), ahnt, warum sie nicht in die Burgstraße ziehen konnte/wollte. Sie hatte schlicht Wichtigeres zu tun.
„Eine Grande Dame der Literatur“, nennt sie Julius H. Schoeps, Vorsitzender der Mendelssohn-Stiftung: „Sie hat sich nicht nur als Literaturwissenschaftlerin, sondern als Literaturförderin weit über die Münchner Stadtgrenzen hinaus einen Namen gemacht.“ Eine Untertreibung, gewiss. Der Jurist und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel fasst in seiner Laudatio den Bogen weiter: Salamander habe die „kulturelle Wiedereinbürgerung des Judentums in Deutschland“ vorangetrieben und „vor dem Hintergrund der Sprachlosigkeit“ eine neue Form der Kommunikation zwischen Juden und Nicht-Juden etabliert.
Die Geehrte freut sich sichtlich beim Blick über ihre Gäste aus Wissenschaft, Kultur, Politik und Gesellschaft; sie nutzt ihre Dankesworte jedoch auch für eine nüchterne Bilanz. Vor dem Hintergrund des Terrorangriffs auf Israel vom 7. Oktober, der ausgebliebenen Solidarität der nicht-jüdischen Menschen und dem hervorbrechenden Antisemitismus stellt Salamander fest: „Das Gespräch der Verschiedenen, das mir am Herzen lag, ist Vergangenheit. Schöpferische Freiheit unter Polizeischutz ist nicht möglich.“
Dieses Fazit spiegelt sich indes in einem Brief Moses Mendelssohns, dem Namensgeber der mit 10 000 Euro dotierten Auszeichnung; das Preisgeld hat Salamander noch auf der Bühne an die Monacensia weitergereicht. Der deutsch-jüdische Philosoph (1729-1786) schrieb also 1784: „Wir träumten von nichts als Aufklärung und glaubten, durch das Licht der Vernunft die Gegend aufgehellt zu haben. Allein wie wir sehen steiget schon, von der andern Seite des Horizonts, die Nacht mit allen ihren Gespenstern wieder empor.“ Grund zur Resignation? Von wegen! Drehen wir also das Licht der Aufklärung heller.