Wenn man Brandon Jovanovich gegenübersitzt, glaubt man gern, dass der Mann aus Montana als Teenager ursprünglich Footballspieler werden wollte. Aber nachdem ihm sein Lieblingssport ein College-Stipendium eingebracht hatte, führte der Weg zum Glück bald doch in Richtung Bühne. Auch an der Bayerischen Staatsoper ist der Tenor schon lange kein Unbekannter. Nach Auftritten in „Jenufa“, „La fanciulla del West“ oder „Carmen“ ist er anlässlich der Neuinszenierung von Tschaikowskys „Pique Dame“ nun erstmals in München im russischen Repertoire zu erleben. Premiere ist am kommenden Sonntag.
„Jede Sprache bringt bei der Phrasierung neue Herausforderungen“, sagt der 53-Jährige. „Aber wir haben hier einen hervorragenden Coach. Und es hilft natürlich auch, mit Kolleginnen und Kollegen zu singen, die mit der russischen Sprache aufgewachsen sind. Dadurch gehe ich deutlich entspannter an die Sache heran und versuche, nicht mehr alles zu überartikulieren.“
Die Rolle des Offiziers Hermann kennt Jovanovich bereits aus zwei anderen Produktionen, die sehr unterschiedliche Deutungen der Geschichte vorlegten. Konfliktpotenzial mit Regisseur Benedict Andrews gab es daher nicht. „Ich würde nicht sagen, dass sich meine Sicht auf die Rolle mit den Inszenierungen verändert hat, sondern eher vertieft. Jedes Regieteam und jeder Dirigent hat eigene Ideen, und ich denke, dass wir hier einen sehr stimmigen Zugang gefunden haben. Für mich fühlt es sich auf jeden Fall gut an. Und ich hoffe, dass sich das Publikum darauf einlässt.“
Ob Hermann seine angebetete Lisa wirklich liebt oder durch sie lediglich an das Geheimnis der Karten kommen will, lässt sich für Jovanovich nicht so einfach beantworten. Doch sind es eben gerade solch komplexe und emotional fordernde Partien, die ihn reizen. „In der ersten Arie behauptet Hermann, dass er sie liebt. Aber ich denke, dass es eher eine Schwärmerei ist, die viel über seine psychischen Probleme aussagt. Über Hermanns Minderwertigkeitskomplexe und seinen Narzissmus.“
Anhaltpunkte dafür finden sich schon in der zugrunde liegenden Puschkin-Novelle sowie in der Art, wie Tschaikowsky diese in Musik umsetzte. „Die erste halbe Stunde ist fast ein anderer Stimmtypus“, sagt Jovanovich. „Es beginnt sehr lyrisch, aber je mehr Hermann in den Wahnsinn abdriftet, umso dramatischer und tiefer gelagert wird es.“ Die unteren Stimmregionen sind für Jovanovich dabei kein Problem. Denn obwohl man es heute kaum glauben mag, verkörperte er zu Studienbeginn in einer Produktion der „Zauberflöte“ doch keineswegs die Tenorpartie des Tamino, sondern den Sarastro.
„Im Chor habe ich damals als Bass angefangen, und an guten Tagen schaffe ich das beim Einsingen auch heute noch.“ Dadurch liege auch der Siegmund in Wagners „Walküre“ für ihn sehr bequem. „Es ist schon spannend, wie sich eine Stimme manchmal entwickelt, sobald man beginnt, an der Technik zu arbeiten.“ Dass es für Jovanovich eher ins dramatische Fach gehen würde, war trotz Anfängen in Musical- und Operettenproduktionen bald klar. „Ich hatte immer eine große Stimme und schnell mit Don José oder Cavaradossi angefangen. Rollen, in denen man nicht nur schön singen, sondern auch schauspielerisch etwas bringen muss. Das fand ich schon immer interessanter.“
Dass die szenische Komponente in der Oper seit Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist für den Tenor eine logische Entwicklung. Gerade weil das Theater heute mit anderen Medien zu konkurrieren hat und Sänger bei Streamings oder TV-Übertragungen eben auch in Nahaufnahmen bestehen müssen. Wichtig ist für Jovanovich aber nicht nur, die Oper für alle Publikumsschichten zugänglicher zu machen, sondern auch neue Werke auf den Spielplan zu setzen. So freut er sich etwa auf bevorstehende Projekte wie Jake Heggies „Moby Dick“-Vertonung, bei deren Uraufführung er bereits als Cover für Ben Heppner parat stand und bald endlich auch selbst als Kapitän Ahab auf die Bühne darf. Und ebenso gespannt ist er auf die Münchner Neuproduktion von Weinbergs „Passagierin“.
„Das ist ein unglaublich wichtiges und berührendes Stück, das ich schon in Chicago singen durfte. Wenn ich im Sommer zu den Festspielen wieder hier bin, möchte ich unbedingt versuchen, eine Vorstellung zu sehen.“ Musik live zu erleben, lässt sich für ihn nämlich durch kein Streaming ersetzen. Ob nur in HD, oder auf dem Smartphone. „Erst gestern hat mir unsere Pianistin auf der Probe gesagt, dass sie bei unserem Duett richtig Gänsehaut bekommen hätte. Da geht es uns nicht anders als dem Publikum. Wenn man neben diesen grandiosen Stimmen auf der Bühne steht und Tschaikowskys Musik aus dem Graben dröhnt, ist das einfach unbeschreiblich.“
Premiere
am 4. Februar;
Telefon 089/21 85 19 20.