Beim Interview trägt er eine Stoffblume am Revers. Das passt zu Carlo Ljubek, diesem freundlichen Menschen. Der Schauspieler, der neben seinem Engagement am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg oft in Kino („Sophia, der Tod und ich“) und Fernsehen („Safe“, „Schlafende Hunde“) zu sehen ist, wurde 1976 als Sohn kroatischer Einwanderer in NRW geboren. Am Sonntag spielt er im Münchner „Tatort“ einen Häftling. Gedreht wurde in der JVA Landshut. Ein Gespräch mit Ljubek über Teamarbeit, Mut – und das Glück der Freiheit.
Sie haben in der echten JVA gedreht. Wie war das?
Bedrückend. Man fällt in eine Welt, in der jeder fremdbestimmt ist. Die Realität an Originalschauplätzen hinterlässt bei mir tiefere Spuren als ein Drehtag, an dem ich vielleicht sehr emotionale Sachen spiele, aber eben fiktive; eine Geschichte, aus der ich wieder austreten kann. Aus dieser komme ich nicht einfach heraus, sie ist real.
Es war auch eine echte Zelle, in der Sie spielten?
Das war Kulisse. In einer echten Zelle zu spielen, hätte ich als übergriffig den Insassen gegenüber empfunden. Da hätte ich erst jeden Einzelnen fragen wollen, ob’s für ihn oder sie okay ist. Denn man ist ja nicht seiner Menschenrechte beraubt, wenn man im Gefängnis sitzt.
Wurde Ihnen durch diesen „Tatort“ wieder klar, welch hohes Gut Freiheit ist?
In der Tat. Wir müssen uns alle bewusst machen, was Demokratie bedeutet und wie viel Freiheit man in ihr hat. Dieser menschenverachtende Populismus, der auch hierzulande immer lauter wird, bedrückt mich. Viele vergessen, wie viel Arbeit Demokratie und Freiheit sind. Auch im Kreis der Familie und Freunde sollte man anfangen, für das einzustehen, was man denkt.
Tut man nicht immer. Kennen Sie das? Man sitzt mit Freunden am Tisch, einer sagt was Zweifelhaftes – und man überlegt: Widerspreche ich jetzt oder halte ich den Mund für einen friedlichen Abend …
Klar kenne ich das. Aber ich kann nicht mehr den Mund halten. Angesichts der Wahlprognosen für die AfD – da bin ich schockiert. Wir haben jetzt die Aufgabe, alles zu tun, damit hier jeder weiter in einem freien, demokratischen Land leben kann und sich die grausame deutsche Geschichte nicht wiederholt. Selbst wenn’s schwerfällt: Wir müssen den Mut haben, für unsere Werte einzustehen.
Sie sind jemand, der Konflikte nicht scheut?
Ich scheue sie nicht. Manchmal wäre es klüger, kurz innezuhalten, ehe ich in einer Diskussion hochfahre. Aber wenn ich zu emotional werde, kann ich mich danach gut entschuldigen. Generell bemühe ich mich, sachlich zu bleiben. Nicht dieselbe Sprache zu benutzen, die uns gerade einholt. Doch bei Ungerechtigkeiten muss ich was sagen. Ist nicht immer zu meinem Vorteil, aber war immer so in meinem Leben.
Ich würde ohnehin gern über Ihre wilde Vita reden. Sie waren erst super Fußballer beim TSV 1860 …
… ich hatte gehofft, dass das noch viel mehr Leuten auffällt, dass ich so ein super Fußballer bin. (Lacht.)
Wie kam’s dazu?
Ich bin mit 15 zum Probetraining gegangen – und war dabei. Doch ich fürchte, ich muss mir eingestehen: Vielleicht war ich nicht hochbegabt. (Lacht.) Aber ich war ein großer Arbeiter und sehr fleißig auf dem Feld.
Welche Position?
Defensives Mittelfeld. Ich habe geackert, bin gerannt und war für alle da. Der Hüte- und Herdenhund.
Ist das auch Ihre Rolle am Set: der Kümmerer?
Ich versuche schon, die Stimmungen in meiner Umgebung nicht zu ignorieren. Ich helfe gern mit, eine Atmosphäre zu schaffen, in der alle frei und produktiv arbeiten können. Weil ich glaube, dass Kreativität – größer gefasst: Leben – dann besser wachsen kann. Wenn man sich gegenseitig inspiriert, kann was zum Blühen kommen. Ich alleine bleibe ein zerbrechliches Pflänzchen.
Wie beim Fußball – man braucht eine Mannschaft.
Ja, man braucht ’ne Truppe. Das war wohl der Grund, warum es mich hingezogen hat in diese Schauspielwelt: Ich habe dort eine ähnliche Energie gespürt wie beim Fußball – und bin dann da hereingeplumpst.
Sie sitzen mit 21 das erste Mal im Theater, denken: Das würde mich reizen – und werden dann gleich an der Otto-Falckenberg-Schule angenommen!?
Das war ein bisschen Irrsinn. Ich hatte eine Freundin, deren Schwester hatte einen Freund und der war auf der Ernst Busch (Hochschule für Schauspielkunst in Berlin). Von dem wurde immer so wahnsinnig geschwärmt – irgendwann dachte ich: Was der kann, kann ich auch. Das ist die romantische Version. Die andere ist die, dass ich eine Alternative zum Fußball suchte. Ich war dauernd verletzt, mein Körper war nicht mehr dafür gemacht…
… zartes Pflänzchen.
Genau! (Lacht.) Also habe ich mein Abitur nachgeholt, ich hatte Mittlere Reife und dachte, ich müsse beweisen, dass ich mehr kann. Vielen meiner Freunde, die wie ich eine Migrationsbiografie haben, geht das so, dass sie das Gefühl haben, zeigen zu müssen, dass sie was können, letztlich: dazugehören. Also habe ich mich für Deutsch und Geschichte eingeschrieben. In meiner großen Naivität bin ich zu den Vorsprechen an die Falckenberg, die Ernst Busch und die Folkwang – und wurde überall genommen.
Ihre Wahl fiel auf München – warum?
Wegen der Kolleginnen und Kollegen, die ich während des Auswahlverfahrens kennengelernt habe. Sie sind bis heute meine Freunde. Unser Jahrgang war eine tolle Truppe.
Wieder eine Mannschaft.
Genau. In der Schule ist eine Vertrautheit entstanden, eine Entwicklung passiert – die ist uns erhalten geblieben.
Was haben Sie allgemein gelernt durchs Schauspiel?
Das finde ich schwer zu sagen. Ich weiß ja nicht, was gewesen wäre, wenn ich wie von mir als Kind erträumt KFZ-Mechaniker geworden wäre. Der Schauspielberuf ist oft sehr theoretisch. Wenn ich anfange mit einem Text und den ersten Schritt machen muss, schauspielerisch etwas anzubieten – das ist nicht immer einfach. So lustvoll ich diesen Beruf auch betreibe. Den Mut, sich reinzuwerfen, muss ich immer wieder aufbringen. Wahrscheinlich ist das etwas, was ich durch diesen Beruf gelernt habe. Ich konnte zum Beispiel früher nie „Nein“ sagen. Das kann ich mittlerweile immer, immer besser.
Und Sie wagen es, sich wahrlich nackt zu machen.
Stimmt. In Michael Thalheimers Inszenierung von „Der zerbrochne Krug“ habe ich nackt gespielt. Das war Michaels und meine Idee – schon komisch, dass man so blöd ist, das auch noch selber vorzuschlagen. (Lacht.) Es gibt Tage, da mag ich mich gar nicht. Und denke mir: Oh Gott, jetzt spiele ich zwei Stunden nackt vor all den Leuten. Aber nach ein paar Minuten vergesse ich das völlig. Es ist bis heute eine der intensivsten Arbeiten für mich und eine der schönsten.
Sie klingen wie jemand, der sich Ängsten stellt.
Ich glaube, das stimmt. Da sind wir wieder bei der Freiheit. Ich würde gern mal eine schwierige Bergtour machen oder Bungee-Jumping, Fallschirmspringen. Hab ich total Angst davor – wie viele andere auch, aber ich hätte Lust, mich dem auszusetzen. Extremsituationen, die mich meine Freiheit anders spüren lassen. Das Glück, frei und lebendig zu sein. Beängstigend – aber auch ein Geschenk.
Das Gespräch führte Katja Kraft.