Mit Harry, Haakon oder William hat er nichts zu tun. Ein Märtyrer? Ein Heilsbringer? Oder Führer einer dunklen Macht – die vom Volk dennoch herbeigesehnt wird? Fest steht: Dieser Prinz tritt nicht auf, weder bei Komponist Peter Eötvös, noch im zugrunde liegenden Roman „Melancholie des Widerstands“ von László Krasznahorkai. Was wir vernehmen, das sind die Warnungen des Zeitungsausträgers János Valuschka. Doch seine Befürchtungen wollen die Dorfbewohner nicht hören. Dieser brave Mann, so wird es zumindest auf der Bühne des Regensburger Theaters gezeigt, endet in der Zwangsjacke.
Es ist hohe Zeit für diese Oper und den schon 1989 veröffentlichten Roman. Peter Eötvös, am 2. Januar 80 Jahre alt geworden, nahm ihn zur Basis für seine 13. Oper, die im vergangenen Dezember in Budapest uraufgeführt wurde. Eine dunkle Parabel über die Manipulation der Masse, über ihre Verführbarkeit, über schleichende Aggressivität in einer Gesellschaft, was sich in pogromartigen Zuständen entlädt. Eine „Tragikomödie mit Musik“, so nennt es der Komponist, die in Regensburg ihre deutschsprachige Erstaufführung beziehungsweise zweite Uraufführung erlebte – 30 Prozent des pausenlosen 95-Minüters sind neu.
Ein Premierentag wie die Faust aufs Auge. Draußen, in der Regensburger Altstadt, gibt es drei Demonstrationen. Mittelständler versammeln sich inklusive des unvermeidlichen Hubert Aiwanger. Rechtsextreme Schwurbler der Aktion „Kinder stehen auf“ verschaffen sich Gehör, gottlob auch Gegenprotestler. Und drinnen, auf der Theaterbühne, erlebt man ein Provinzkaff, das einem Zirkus-Gastspiel entgegenfiebert. „Star“ ist ein ausgestopfter Wal, Drahtzieher der unsichtbare Prinz. Immer mehr Fremde kommen ins Dorf. Spannungen steigen, auch weil die neue Bürgermeisterin Frau Tünde mit ihrer faschistoiden Bewegung „Es grünt so grün“ die Antistimmung befeuert.
Titelheld Valuschka steht in der Tradition des klassischen Opernnarren, der doch nur die Wahrheit predigt und hier fasziniert ist von der göttlichen Ordnung des Universums. Einmal, da lässt Eötvös das kleine Orchester schweigen, schildert Valuschka die Schönheit einer Sonnenfinsternis. Der regieführende Intendant Sebastian Ritschel verdunkelt dazu alles, eine Szene reiner, berührender Poesie. Am Ende, wenn alles zu spät ist, sitzt Valuschka auf dem Bett einer mutmaßlichen psychiatrischen Anstalt, dazu wird die ultimativ göttlichste Musik zitiert. Es erklingt die Tonfolge B-A-C-H.
So frustrierend die Geschichte sein mag: Eötvös sieht die Sache (auch) als Groteske. Entsprechend bizarr lässt er das Orchester wetterleuchten. Eine fragmentierte, filigrane Musiksprache ist das. Burlesk, farb- und detailverliebt, als ob man den zusammengekehrten Klangscherben eines zu Bruch gegangenen großen Ganzen lauscht. Immer wieder hört man rhythmisch Profiliertes bis zum Sprechgesang, auch in den Chorszenen, wenn die stark geforderten Herren Worte wie „Verantwortungslosigkeit“ oder „Unzuverlässigkeit“ verhackstückeln. Teilweise gibt es reine Schauspielstrecken, Eötvös selbst versteht das Stück als „Übergang zwischen Prosa-Theater und Oper als Theater“.
Vieles ist illustrativ, da mögen Avantgarde-Jünger die Nase rümpfen. Doch die Lautmalereien entfalten auch subtil-bösen Witz: „Valuschka“ spannt sich vom anfänglichen Stampfen einer Eisenbahn bis zum finalen Stampfen der Uniformträger. Vor allem aber schreibt Eötvös nachvollziehbare, stimmdienliche Theatermusik, die die Moderne gar nicht neu erfinden mag.
Umso plastischer dürfen die Rollen hervortreten. Das Regensburger Haus, das bekanntlich 2025 zum Staatstheater erhoben wird, hat eine erstaunliche Besetzung zusammengecastet. Man erlebe nur Benedikt Eder als Valuschka mit feinem, somnambulem, höhensicherem, in jeder Lage locker ansprechendem Bariton. Oder die soubrettig überdrehte Kirsten Labonte als Frau Tünde. Oder Schauspieler Gabriel Kähler als so eleganter wie glatter Conferencier Hagelmayer. Unmöglich, alle in diesem männerlastigen, durchwegs überzeugenden Ensemble hervorzuheben – eine mehr als eindrückliche Gesamtleistung. Inklusive Graben: Das Philharmonische Orchester Regensburg unter Generalmusikdirektor Stefan Veselka ist stark, weil vielfach solistisch gefordert – und geht doch wie selbstverständlich mit der kniffligen Partitur um.
Sebastian Ritschel, Regisseur und Kostümbildner, treibt den Abend nicht ins Hyperbizarre. Kristopher Kempf hat dafür ein wandelbares Steingewölbe entworfen. Weniger die Komik von „Valuschka“ sieht man, eher das Dunkle, Bedrohliche dieser Parabel. Ein Spiel mit der Realität ist dieser kurze Abend, ein sanftes Umbiegen ins Surreale. Und eine adäquate, nie präpotente Umsetzung dieser neuen Oper. Man spürt, welchen Respekt Ritschel und sein Team dem Komponisten entgegenbringen – Peter Eötvös selbst, schwer erkrankt, plant angeblich, eine der Folgeaufführungen zu besuchen.
Sein „Valuschka“ ist ein großer Mosaikstein im überregional strahlenden Programm des Regensburger Hauses. Diese Musiktheater-Spielzeit versammelt unter dem Motto „Identitäten“ unter anderem die Uraufführung der Oper „Michael Kohlhaas“ von Stefan Heucke, Dvořáks „Rusalka“, „The Rocky Horror Show“ oder die Operetten-Wiederentdeckung „Der Prinz von Schiras“ von Joseph Beer.
Den eigentlich ungreifbaren „Valuschka“-Prinzen zeigt Ritschel dann doch: als Kleinwüchsigen, der in einem Käfig herabgelassen wird. Vielleicht auch weil die einschlägigen Prinzen von heute längst nicht mehr unsichtbar bleiben. Sie sitzen auf dem Budapester Burgberg, im Thüringer Landtag und womöglich bald wieder im Weißen Haus.
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