Trainieren die für Olympia? Fast hat es den Anschein, denn die 16 schwarz gekleideten Männer und Frauen, die auf der Bühne der Münchner Kammerspiele und im Mittelgang des Parketts herumrennen, springen, purzeln und kobolzen, haben eine erstaunliche Kondition. Insofern kann man die Uraufführung von Doris Uhlichs fast wortloser Bewegungsperformance „In Ordnung“ auch als sportliches Ereignis betrachten.
Aber keine Sorge, es ist alles in Ordnung, diese Grenzüberschreitung gehört zum künstlerischen Konzept, und der volle Körpereinsatz, den wir da erleben, hat durch sein kalkuliertes Changieren zwischen Struktur und Unordnung eine deutliche Ausdrucksdimension. Zumal wenn plötzlich fast wie aus dem Nichts dieses Gerüst auf der Bühne steht, ein Labyrinth aus Treppen, Streben, Podesten, bei dem es sich vermutlich um das berühmte „Gestell“ handelt, von dem der Philosoph Martin Heidegger immer sprach, wenn er die entmenschlichende Seite der Technik beschreiben wollte.
Klar, dass das Ding stört, die freie Bewegung hemmt, weshalb erst mal alle erstarren. Dann nähern Einzelne aus der Gruppe sich zaghaft dem Fremdkörper – bis schließlich alle folgen und angesichts des Hindernisses ins Zittern und Vibrieren verfallen, das ihre Irritation offenbart und wirkt, als wären sie in einen Stromkreis geraten.
Endlich versuchen die wackeren Kunst-Sportler, das Gestell zu zerlegen, aber so sehr sie schieben und ziehen – auch die Einzelteile sind nicht von der Bühne zu kriegen und bleiben als Barrieren bestehen: ein gelungenes Bild für die strukturelle Fremdbestimmung, der wir nicht entkommen, solange wir versuchen, ein System mit dessen eigenen Mitteln zu verändern. Denn, „es gibt kein richtiges Leben im falschen“ – diese Einsicht manifestiert sich hier im verschwitzten Körpergestammel. Erst als die Tänzer der Logik des Gestells das „ganz Andere“ entgegensetzen, nämlich die ekstatische Entgrenzung, das Chaos, den Rausch, also die Unordnung, erst dann scheinen sie den Sieg davonzutragen. Wenn auch um den Preis, dass es ungemütlich wird: Die Saal- und Foyertüren gehen auf, sodass kalte Nachtluft hereinzieht, die Akteure sind plötzlich als Monster, Perchten und Gespenster verkleidet, als Saurier oder Stehlampe schwärmen sie durchs Publikum, und als wäre bei ihnen was nicht ganz in Ordnung, ziehen einige sich gar halb nackt aus und lassen die Brüste schwingen im Stakkato der ohrenbetäubenden Beats, das einem überdrehten Maschinentakt gleicht – als fielen das Dionysische und die technische Entpersonalisierung hier unvermutet doch wieder zusammen. Bis das Toben ein Ende hat, bis es still wird und wir nur noch das heftige Atmen dieser Athleten hören, die sich langsam beruhigen.
Sicher, Tanz und Bewegungskunst werden einen Hang zur allegorischen Simplifizierung kaum je loswerden, das macht auch dieser Abend wieder einmal klar. Aber rummäkeln wäre nicht nur angesichts der sportlichen Spitzenleistung dieser Truppe wirklich unfair. Der Abend ist schwer in Ordnung, und darum gab’s zu Recht Standing Ovations.
Weitere Aufführungen
am 10. Februar sowie am 4. und 26. März;
Telefon 089/ 23 39 66 00.