Vor der Provokation steht die Bürokratie. Der Künstler Flatz hat also erst einmal sein Testament geändert. Und dann seinen Körper versichert. Damit heute Abend in der Pinakothek der Moderne eine Benefizauktion stattfinden kann, die in Wahrheit seine nächste Performance ist. Vielleicht die radikalste, die der Konzeptkünstler in den vergangenen rund 50 Jahren unternommen hat. Flatz versteigert seine Tattoos. Im Sinne von: mit Haut und Haaren. In seinem Testament steht es schwarz auf weiß: Wenn der 71-jährige Wahlmünchner einmal stirbt, sollen seine Tattoos ausgeschnitten, präpariert und hinter Glas präsentiert werden. Wer heute Abend den Zuschlag für eines der Tattoos erhält, muss also im Sinne des Künstlers im besten Falle noch eine Weile warten, ehe er das Kunstwerk erhält. Bis zur postumen Übergabe der präparierten Hautstücke bekommen die Käufer Ganzkörperfotografien mit den jeweils markierten Hautpartien als symbolische Statthalter. Vorfreude ist die schönste Freude?
So richtig vorstellen kann man sich nicht, wer hier mitsteigern mag. Die neue Flatz-Ausstellung, deren Eröffnung heute ebenfalls gefeiert wird, gibt einen Vorgeschmack. Da baumelt eine hyperrealistische Kopie des nackten Künstler-Körpers an einem Fleischerhaken von der Decke. Die Berliner Kollegin Lisa Büscher hat sie in Perfektion gefertigt. Jede Ader der Hand, jede Sommersprosse wirkt wie von der Natur selbst gemalt. Doch erinnert eben auch an Schlachthof, Tod. Und bei der Vorstellung, dass der Leichnam des echten Flatz eines Tages so auf dem Seziertisch liegen wird, damit seine Tattoos herausgeschnitten werden können, wachsen Ekel und Abscheu, grausige Assoziationen zu Lampenschirmen aus der Zeit des Nationalsozialismus entstehen – hergestellt aus der Haut von KZ-Insassen. Und es ploppt die Frage auf: Warum das Ganze?
Flatz – Stichwort: Konzeptkünstler – sagt, er habe das ein Leben lang so geplant. Sein ganzer Körper eine Leinwand, die er nach und nach bespielte. Vor zwei Jahren ließ er sich den jüngsten Schriftzug ins Fleisch stechen: „Mors certa, hora incerta“, der Tod ist gewiss, die Stunde ungewiss. „Das sollte das letzte Tattoo sein. Das Werk ist vollendet.“
Öffentlich begann es 1979. Der 27-jährige Flatz posierte nackt als lebende Dartscheibe. Die Zuschauer sollten ihn mit Pfeilen bewerfen, für einen Treffer standen 500 Mark in Aussicht. Der elfte Wurf traf und verwundete den Künstler, die Performance war zu Ende. Oder Silvester 1990, da ließ sich Flatz in Tiflis kopfüber zwischen zwei Stahlplatten aufhängen, um wie ein Glockenklöppel pendelnd gegen das Metall zu prallen – bis er in Minute fünf bewusstlos wurde. Im Anschluss erklang der Walzer „An der schönen blauen Donau“, zu dem ein festlich gekleidetes Paar tanzte.
Schräg? Aber hallo. Effekthascherisch? Gewiss. Und doch immer wieder: wirkungsstark. Der gebürtige Vorarlberger, diese Provokation auf zwei Beinen, bringt uns dazu, uns der eigenen Sterblichkeit zu stellen. Zu hinterfragen, was bleibt. Und was ist: Von welchen Aktionen lassen wir uns auch als Gesellschaft provozieren? Was löst starke Gefühle, was bloßes Schulterzucken aus? Bestes Beispiel ist das Plakatmotiv zur aktuellen Schau. Darauf die Fotografie „Star“ mit Flatz auf Krücken, nackt. 1993 warb dieses Motiv für eine Ausstellung im Gropius Bau. „Es hing damals in ganz Berlin. Doch als die Pinakothek es nun von der Firma Ströer in München plakatieren lassen wollte, haben die sich quergestellt“, erzählt Flatz. Aus Jugendschutzgründen. „In welcher Gesellschaft leben wir, dass ein Dienstleister Kunst zensieren darf, indem er die Plakatierung verweigert? Wir kommen in einen neuen Viktorianismus. Es wird alles verboten. Das ist genau das, was die Rechten wollen. Demnächst wird noch Rubens abgehängt, weil er Nackte zeigte!“ Flatz hat ein alternatives Plakat gestaltet. Und wird das ursprüngliche Motiv als signierte Edition herausgeben. „Ist ja immer so: Das, was verboten ist, das wird gekauft.“ Sagt’s und grinst.
Bis 5. Mai
in der Sammlung Moderne Kunst; Eröffnung mit Auktion und Musik von Flatz, Gutbrod und DJ Hell heute ab 19 Uhr.