Viel Flatz um nichts

von Redaktion

Großer Andrang bei der Auktion der Künstler-Tattoos in München – doch die fällt aus

VON KATJA KRAFT

Natürlich kommt man sich veräppelt vor. Die große Versteigerung der Tattoos von Konzeptkünstler Flatz: abgesagt. Fragende Gesichter am Donnerstagabend in der Rotunde der Pinakothek der Moderne. Wie berichtet, hätte dort eigentlich eine Auktion stattfinden sollen. Besagter Flatz hatte verkündet, die Motive auf seiner Haut zu veräußern. Wenn der 71-Jährige einmal stirbt, sollen sie ausgeschnitten, präpariert und hinter Glas präsentiert werden. Bei der Auktion hätte man als Käufer zunächst Ganzkörperfotografien mit den markierten Hautpartien bekommen – und die Hautstücke dann nach Ableben des Künstlers.

Die Provokation war wohl-flatziert: großer Medienrummel vorab, irrsinniger Andrang am Abend der angekündigten Versteigerung. Die Rotunde ist bis in die obere Etage gefüllt – unter den rund 1000 Gästen auch solche, die man bei Ausstellungseröffnungen in diesem Haus sonst nicht sieht. Es ist genug Flatz für alle da.

Und dann wieder nicht. Denn gerade noch hat Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, ein kunsthistorisches Plädoyer für die Bedeutsamkeit von Provokation, von Brüskieren des konservativen Publikums gehalten; hat auch Bernhart Schwenk, der die neue Flatz-Ausstellung kuratiert hat, betont, dass Kunst keinen Schönheitswettbewerben unterliege – und dann das: Am Ende seiner Ansprache überrascht Schwenk mit der Bekanntgabe, dass „ein Sammler“ sämtliche Tattoos gekauft habe und die Versteigerung damit ausfalle. „Er hat sie in toto gekauft. Was, wie ich gelernt habe, gar nicht so selten vorkommt“, formuliert es Schwenk – und die Verteidigung klingt mit. Denn das ist schon ein Hammer, obwohl an diesem Abend gar keiner fällt: Wer, fragt man sich, ist dieser ominöse Sammler? Gibt es ihn überhaupt? Oder ist das alles nicht mehr als ein großer PR-Gag, eine Flatz-Patrone?

Der Künstler selbst reagiert im Gespräch cool: „Mein größter Schweizer Sammler hat eine siebenstellige Summe bezahlt. Die hätte jeder genommen. Die hättest du auch genommen!“ Das Geld – wie viel es denn auch immer ist – soll an die Flatz Stiftung fließen, die Künstlerinnen und Künstler unterstützt.

Statt Auktion gibt’s also lediglich Aktion. Davon aber gleich eine doppelte. Bevor Flatz nackert für einige Minuten schweigend auf einer Drehscheibe auf der Bühne posiert, stellt sich dort ein anderer Mann auf. Ebenfalls tätowiert, den Oberkörper frei. Einige Sekunden redet Flatz auf ihn ein, bis der junge Kerl die Bühne verlässt und der ältere Kerl selbst mit seiner Performance beginnt. Wie man später erfährt, war das nicht Teil der Aktion, der Mann wollte sie wohl stören, weil er Flatz vorwirft, seine Idee geklaut zu haben.

Das passt zu diesem im besten Sinne schrägen Abend, an dem einem niemand so recht sagen kann, was wahr, was inszeniert ist. Auch die roten Linien auf Flatz’ rasiertem Hinterkopf: Ist das Blut? Hat der sich echt den roten Stern ins Fleisch geschnitten? Sind wir am Ende alle selbst Teil einer großen Performance, indem wir dem verschmitzten Enfant terrible auf den Leim gegangen sind?

Man kann das abstoßend und billiges Provokationstheater nennen. Tun an diesem Abend auch viele. Und diskutieren erhitzt über Sinn und Unsinn des Flatz’schen Werks. Hinterfragen bis zur Erregung. Reden, streiten, lachen miteinander. So intensiv wie selten auf Vernissagen. Mal nicht nur Sehen-und-gesehen-Werden sondern echtes Wahrnehmen: All das passiert, wenn so ein Typ in die Komfortzone hereinflatzt. Funktioniert.

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