Auch wenn es nicht geplant war – es passt zu den jüngsten Bauernprotesten, dass in den Münchner Kammerspielen jetzt „Land“ in Sicht ist: im Vordergrund ragen zwei Silotürme auf, dazwischen liegen stimmungsvoll ein paar Strohballen, und rechts steht eine Kälberbox. Aus den Lautsprechern tönt Blasmusik und das robuste Rattern eines Fendt-Bulldogs, Bäuerinnen mit Kopftuch und Schürze granteln rum, im Farbfernseher sieht man Lenor-Werbung aus den Siebzigern sowie den Bundespräsidenten Heinemann, der dem Lieblingsspiel der Obrigkeit frönt: Er fordert Verzicht und Beschränkung.
Aber auch wenn uns die Kammerspiele jetzt mit Bauerntheater kommen: Mist- und Odelduft darf man natürlich nicht erwarten am keimfreien Kunst-Ort. Allerdings weht zumindest ein Hauch von Komödienstadel durch die Therese-Giehse-Halle bei der Uraufführung von „Land“. Denn in dieser teils überraschend witzigen Rustikal-Revue von Christoph Frick und Lothar Kittstein geht es zwar nicht um einen verkauften Großvater, aber dafür um käufliche Gen-Bastler und „Future-Food“. Unter anderem.
Das Auftragswerk überblendet nämlich verschiedene Zeitebenen und handelt auch von der Hungersnot 1816, ausgelöst durch einen Vulkanausbruch in Indonesien, dessen Aschewolken rund um den Globus die Sonneneinstrahlung reduzierten. Außerdem spielt es 1973, als die Ölkrise Bauern in die Pleite und den Selbstmord treibt, indes ihre Kinder als Hippies in Schwabing rumziehen. Verbunden sind die Episoden dadurch, dass sie alle auf einem abgelegenen Hof im Dachauer Hinterland spielen („kurz vor Triefing rechts den Feldweg rein“), der jeweils von einer anderen Generation derselben Familie bewirtschaftet (oder abgefackelt) wird. Bis hin zur jüngsten Erbin, die in der Gegenwart eben ein Start-up für Gen-Hirse betreibt – ehe auch das einer Überschwemmung zum Opfer fällt.
Denn letztlich beackern die Autoren den alten Stoff vom archetypischen Ringen des Menschen mit der Natur, der er seine Nahrung abtrotzt. Eine solche Rückwendung ins Mythisch-Schicksalhafte überrascht genauso wie die Tatsache, dass da ein „Well-made-Play“ auf die Bühne kommt. Christoph Frick inszeniert die bayerische Schollen-Saga dementsprechend als süffiges Schauspielertheater, das augenzwinkernd zwischen herber Märchen-Idylle und malerischem Agrar-Realismus dahinpflügt, bis die Furche kracht. Martin Weigel etwa ist mit Gummistiefeln und Hosenträgern der virile Landmann, der dennoch an höheren Mächten scheitert. André Benndorff gibt hübsch mephistophelisch den rätselhaften Onkel Georg, aber zugleich auch „das Universum“ und schließlich gar nackert die „letzte Sau“, die geschlachtet wird. Für absolute Höhepunkte sorgt aber Traute Hoess als gewitzte alte Hinterwäldlerin mit Jagdflinte im Anschlag.
Natürlich ragt hinter dieser unterhaltsamen Landpartie ein großer Schatten auf: Fast 40 Jahre ist es her, da sorgten die Kammerspiele für einen historischen Skandal mit der Uraufführung von Franz Xaver Kroetz’ ruppiger Groteske „Bauern sterben“, die das Schicksal kleiner Landwirte vom Klassenstandpunkt aus betrachtet. Derartiges politisches Bewusstsein sucht man bei Frick und Kittstein vergebens. Sie machen das, was immer sehr beliebt ist, wenn es darum geht, von der Frage nach den Machtverhältnissen und ökonomischen Interessenlagen abzulenken: Sie erzählen uns den Mythos vom Naturhaften, das selbstredend alternativlos ist. Begeisterter Beifall.
Nächste Vorstellungen
am 13., 14., 18., 20. Februar; Telefon 089/ 233 966 00.