Mit 15 brach Milen Till die Schule ab und zog in die Nacht. Er und sein jüngerer Bruder Amédée flatterten wie Falter durch die Clubs – wo sie ihre Flügel schlugen, war der Beat. Kill the Tills nannte sich das Münchner DJ-Duo. Gemeinsam veranstalteten sie legendäre Partys, pumpten den Gästen über ihre Turntables den Sauerstoff ins Blut. Love is like Oxygen – und voller Liebe waren die Brüder für diese rauschhaften Feste. Tanzen, Zappeln, Grölen, Ekstase, bis die Wolken wieder lila sind. Alles für diesen Moment.
Das ging viele Jahre gut. „Aber am Ende dann eben nicht mehr so gut“, sagt Milen Till heute. Inzwischen ist er 39 und auf seinen rotierenden Turntables von einst fährt ein Skateboard in Dauerschleife. Eine Installation, die er vor einigen Jahren angefertigt hat. Mit Anfang 30, nach dem „harten Cut“, der nötig war. Kunst statt Beatmatching. „Ich musste diesen radikalen Schnitt weg vom DJ-Dasein machen, um mich selbst zu retten. Die psychischen und körperlichen Alarmsignale konnte ich nicht mehr ignorieren“, erzählt er. Mit auffallend klarem, eindringlichem Blick steht er in der Münchner Galerie Klüser. Vor seinen eigenen Werken, in seiner zweiten Solo-Ausstellung in diesen Räumen. Für ihn unwirklich schön. „Ich habe immer gedacht, seinen Traum zu leben, sei ein Paradox – denn wenn man ihn lebt, ist es ja kein Traum. Doch heute weiß ich: Man muss es einfach wagen.“
Was dann möglich ist, beweist dieser groß gewachsene, aufrecht stehende Mann, den man auf alten Fotos kaum wiedererkennt. Auf denen hängt ein gebeugter Kerl mit Mütze und Headphones hinterm DJ-Pult; müde schaut er aus, geprägt von Schlafmangel und Grenzenlosigkeit.
Ein harter Cut also. „Alles, was ich besaß, was ich immer mitgenommen habe in die etlichen WGs oder Wohnungen, in denen ich gewohnt hab, waren die Turntables, die ich mir mit 15 zugelegt hatte. Als ich mich aus dem Nachtleben zurückgezogen habe, fing ich an, Objekte daraufzulegen.“ Kinetische Kunst. Inspiriert von Jean Tinguely, Daniel Spoerri, den „Nouveaux Réalistes“. „All das fand ich sehr spannend. Ich habe gespürt, da ist was.“ Das spürte auch die Freundin seines Bruders. Sie kontaktierte Gregor Hildebrandt, 2015 gerade als Professor für Malerei und Grafik an die Münchner Kunstakademie berufen. Und gleich schockverliebt in Tills Turntables-Skateboard-Objekt. Das gehört in die Jahresausstellung der Akademie, befand der Wahl-Berliner Hildebrandt. Musste dann aber erkennen, dass das in München nicht ganz so leicht möglich ist. Wer in der Jahresausstellung der Studierenden vertreten sein will, der muss – Überraschung! – Student sein. Hildebrandt also zu ihm: Bewirb dich an der Akademie. „Doch das schien mir total abwegig. Mit 30! Ich habe mich schon viel zu alt gefühlt. Ich dachte, der Zug sei abgefahren.“
Aber weil nur wer wagt gewinnt, zog er wieder los – von der Nacht ins gleißende Licht der Akademie. Verstecken verboten. „Das war das, was mich gerettet hat und wieder auf den Boden gebracht hat. Dass ich mich mit einer neuen Ernsthaftigkeit auf die Akademie und auch die Härte, die da herrscht, einlassen musste.“ Die eigenen Arbeiten zu zeigen, sich dem Feedback zu stellen – „da geht es ans Eingemachte“.
Vor zwei Jahren hat er sein Diplom gemacht. Und stellte schon während seines Studiums bei Klüser aus. Unter dem Titel „Lückenfüller“ stopfte er Löcher im Parkett der Galerie-Räume mit blauen Acryl-Glas-Dreiecken. Eine Hommage an das „Blaue Dreieck“ von Blinky Palermo, das bei Klüser über der Eingangstür prangt. Nun treibt Till das Spiel in seiner aktuellen Schau weiter. Imitiert auf der Leinwand das Fischgrätmuster des Bodens –und in jedem Werk der neuen Reihe „Parkett“ steckt wieder eins der blauen Dreiecke. „Mich interessiert nicht nur das Spiel mit Farbnuancen, sondern auch die Nostalgie dahinter. Bei Parkettböden denke ich gleich an schöne Altbauwohnungen, die man sich immer weniger leisten kann. Ich hatte noch das Glück, in einer solchen Wohnung aufzuwachsen. Da fühle ich mich gleich zu Hause“, sagt Till. „Für mich ist das nicht nur ein Boden, sondern ein Kunstwerk.“
Und dann die Patina, die einen innehalten lässt: Was wohl auf diesen Dielen schon passiert ist. Wer hier gekrabbelt, gesprungen, gelaufen ist. Und getanzt hat. Getanzt als ob’s kein Morgen gäbe.
Bis 9. März
in der Galerie Klüser, Georgenstraße 15, Di.-Fr. 11-18, Sa. 11-14 Uhr.