Ja, es ist unglaublich fad, Äußerlichkeiten zu thematisieren. Und doch muss es hier sein, denn der Grafikerin Marion Blomeyer ist bei der Gestaltung des Titels von Slata Roschals neuem Roman Außergewöhnliches gelungen: Sie hat die DNA der Geschichte, die von der Münchner Autorin erzählt wird, in einem Motiv des Illustrators Eiko Ojala kondensiert. Auf dem Cover hängt also eine Wäscheklammer an irgendeinem flach gezogenen Textil. Wohlgemerkt: Diese Klammer hält nichts zusammen, sondern sorgt für einen Faltenwurf – und droht obendrein abzustürzen.
Ein Bild, in dem sich der Zustand spiegelt, der Roschals Protagonistin Maria Nowak die Unruhe in Hirn und Herz pflanzt. „Die Diskrepanz zwischen Sein und Soll macht mich fertig“, heißt es an einer Stelle des Buchs mit dem wunderbar zwischen Komik und K.o. schillernden Titel „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“. Slata Roschal, die 1992 in Sankt Petersburg geboren wurde, heute in München lebt, wo sie auch promovierte, hat mit ihrem zweiten Roman einen Höhepunkt des noch jungen Bücher-Frühjahrs vorgelegt.
Die Autorin lässt ihre Ich-Erzählerin in einem Hotelzimmer in Berlin sitzen, wo sie an einem Übersetzerseminar teilnimmt. Dort macht Nowak das ganz große Fass auf: die Liebe, die Kinder, die Arbeit, die Politik – all die Fragen, die durch diesen Gedankenstrom schillern: Warum das alles? Und wozu? Die Protagonistin hat auf den ersten Blick alles, was es für ein gutes Dasein braucht. Beziehung läuft, Kinder sind aufgeweckt, Job bietet Chancen – all das passt, irgendwie. Und doch nagen da Unzufriedenheit und das Gefühl, nicht zu genügen.
Freilich, in jüngster Zeit sind bereits einige Bücher erschienen, die literarisch untersuchen, was die vielen Baustellen im Leben mit Menschen machen. Und das betrifft vor allem Frauen, denen bis heute meist das Management von Familie, Beruf, Partnerschaft und eigenen Bedürfnissen obliegt. Roschals Roman reiht sich hier nicht ein, sondern weist darüber hinaus. Ihr Buch ist ein großer Wurf mit leisen Tönen.
Dass ihr Roman derart lesenswert ist, liegt auch an der zweiten Erzählebene, die von der Autorin in die Geschichte eingezogen wurde: Nowak ist mit der Übersetzung historischer Briefe beschäftigt, die deutsche Auswanderer in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts in die alte Heimat geschickt haben; im Anhang des Romans sind einige davon dokumentiert. Die Nöte und Träume, die vor rund 100 Jahren formuliert wurden, führen direkt ins Heute der Übersetzerin. Maria Nowak tritt daher in einen Dialog mit dem längst verblichenen Schreiber über die Zeit hinweg. Ein Dialog, dem man auch aufgrund von Roschals Stil sowie ihrem virtuosen Umgang mit der Sprache fasziniert folgt. Reüssiert hat sie 2019 als Lyrikerin, damals erschien ihr Band „Wir verzichten auf das gelobte Land“ (Reinecke & Voß), und legte 2021 mit dem Gedichtband „Wir tauschen Ansichten und Ängste wie weiche warme Tiere aus“ (Hochroth Verlag) nach. Ihr Romandebüt „153 Formen des Nichtseins“, 2022 bei Homunculus publiziert, wurde für den Deutschen Buchpreis nominiert und mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet.
Ihr präzises, pointiertes und offenkundig an der Lyrik geschultes Schreiben machen nun auch ihren zweiten Roman zum Lesevergnügen. Da brechen Sätze ab, da mäandern andere weiter, dort fehlt plötzlich das Verb. All das jedoch ist nie eitel oder Selbstzweck, sondern dient einer Erzählung, die nur eines sicher weiß: „Die Zeit rennt, und wie sie rennt, da kommt keiner hinterher, die besten Läufer nicht.“
Slata Roschal:
„Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“. Claassen, Berlin,
176 Seiten; 22 Euro.
Lesung: Slata Roschal stellt ihr Buch am 22. Februar, 20 Uhr, im Münchner Zirka, Dachauer Straße 110c, vor; Karten gibt es unter www.dice.fm.
Die Buch-Premiere ist am Donnerstag im Münchner Zirka