Auf den ersten Blick ist es eine Tournee wie viele andere. Da gastiert am 3. März in der Isarphilharmonie die Klarinettistin Annelien van Wauwe mit Musik von Mozart und wird dabei von einem renommierten Klangkörper begleitet. Doch von Normalität sind die Mitglieder des Kyiv Symphony Orchestra derzeit noch immer weit entfernt. Denn seit dem russischen Überfall auf die Ukraine vor fast genau zwei Jahren, am 24. Februar 2022, haben viele ihre Heimat nicht mehr gesehen.
Stattdessen sorgen sie mit ihren Auftritten in ganz Europa dafür, dass die Betroffenen des Krieges ein Gesicht bekommen und keine anonyme Masse bleiben, von der man lediglich in abstrakten Zahlen in den Nachrichten liest. Das Basislager des Orchesters befindet sich aktuell im thüringischen Gera, wo man die Musikerinnen und Musiker im Sommer 2022 aufnahm.
Hier lebt und probt derzeit auch Geigerin Tetiana Martyniuk-Bahrii für die zum zweiten Jahrestag der Invasion anstehenden Gedenkkonzerte. „Ich bin in einer glücklichen Lage, weil mein Mann ebenfalls als Tontechniker für das Orchester arbeitet und auch unsere Tochter bei uns ist.“ Erst vor ein paar Tagen habe sie sich mit einer befreundeten Musikerin getroffen, deren Mann in der Armee ist. „Es war schön, sie wiederzusehen, aber natürlich war es nicht so unbeschwert wie vor dem Krieg. Das ist schwer in Worte zu fassen. Du hast eine gute Ausbildung, einen Job, hast einen Freundeskreis aufgebaut und eine Familie gegründet. Doch all das kann von heute auf morgen vorbei sein.“
Obgleich ihre unmittelbare Familie mit ihr in Deutschland in Sicherheit ist, bleiben die Gedanken von Tetiana Martyniuk-Bahrii stets in der Heimat, wo die russischen Angriffe für die Bevölkerung mittlerweile zum Alltag gehören. Umso erschreckender war für sie die Unterhaltung mit einem Schweizer Kollegen, der nach einem gemeinsamen Auftritt wissen wollte, ob die Lage denn tatsächlich so ernst sei, weil man im Internet ja auch andere Dinge lesen würde. „Ich konnte fast nicht glauben, dass er das im Ernst fragt. Aber genau das ist es, was die russische Propaganda will.“
Solch unsensiblen Kommentaren kontert die Geigerin mit zahlreichen Erlebnissen, die ihr von daheim aus erster Hand berichtet werden. „Freunde aus Kiew, deren Kinder so alt sind wie unsere Tochter, haben uns neulich ein Video geschickt. Es war ein Auftritt ihres Sohnes in der Musikschule, der auf einmal von Sirenen unterbrochen wurde. Aber der Junge hat einfach weitergespielt, weil es für ihn normal war. Aber es ist leider alles andere als normal.“
Dies ist auch die Botschaft, die das Kyiv Symphony Orchestra mit seinen Auftritten kommunizieren will. Die Gedenkkonzerte zum traurigen Jahrestag sind ein Plädoyer für den Frieden, das über nationale und konfessionelle Grenzen hinausreicht. So wird in München neben der Uraufführung des „Ukraine Triptychons“ von Komponist Claus-Steffen Mahnkopf auch Max Bruchs „Kol Nidrei“ erklingen, ebenso wie Mykola Lysenkos „Gebet für die Ukraine“.
Vor allem das letztere Stück hat für die Geigerin eine ganz besondere Bedeutung. „Es ist so etwas wie unsere inoffizielle Nationalhymne. Durch das Spielen von ukrainischer Musik wollen wir den Menschen etwas über unsere Heimat erzählen. Ich hoffe, dass wir das fortsetzen können. Aber im Moment wissen wir nicht genau, wie lange wir noch weitermachen können.“
Ganz unpolitisch ist natürlich auch das Konzert in München nicht, wo mit Beethovens Fünfter ein Werk eines Komponisten auf dem Programm steht, dessen Musik eng mit der Einigung Europas oder der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verknüpft ist, als viele Theater mit der Befreiungsoper „Fidelio“ neu begannen. „Das sind klassische Stücke, die wir schon vor dem Krieg oft gespielt haben“, sagt Tetiana Martyniuk-Bahrii. „Aber ich denke, dass wir sie jetzt noch einmal anders fühlen. Egal, ob das Beethoven ist, Lysenko oder Verdi. Und das Publikum wird das hoffentlich auch spüren.“
Dass Künstlerinnen und Künstler sich positionieren müssen, steht für die Geigerin außer Frage. Konkrete Namen will sie dabei nicht nennen. „Manche unterstützen Putin offen, andere nicht ganz so offen. Aber Schweigen ist keine Option. Man kann sich nicht hinstellen und naiv behaupten, das ist nur Musik, nur ein Konzert. Denn wir können viel durch unsere Musik sagen.“ Und so kämpfen sie und das Kyiv Symphony Orchestra weiter mit ihren Mitteln, um die kulturelle Identität der Ukraine zu verteidigen. In der Hoffnung, dass es keinen dritten Jahrestag mehr geben möge und bald wieder Konzerte auf heimischem Boden möglich sind.
Konzert
am Sonntag, 3. März, 15.30 Uhr, in der Isarphilharmonie; Telefon 089/93 60 93.