Lasst die Puppen tanzen!

von Redaktion

Die Kunsthalle München zeigt die gigantische Mode von Viktor & Rolf

VON KATJA KRAFT

Jetzt gerät man schon wieder ins Schwärmen. Aber es ist, wie es ist: Roger Diederen und sein Team der Kunsthalle München laden einmal mehr zu einer Ausstellung, die einen von den High Heels haut. Viktor & Rolf – nie gehört? Das müssen wir ändern. Denn das, was das niederländische Duo seit 30 Jahren erschafft, ist nicht bloß Mode. Das sind tragbare Kunstwerke. Und wie gern würde man sie tragen. Bei jedem Schritt in einen weiteren Saal der opulenten Schau hüpft das Herz. Einmal alles einpacken, bitte. Und dann in den Tüll-Träumen durch die Frühlingsluft spazieren.

Schon im ersten Raum machen Viktor & Rolf mit den Kuratoren Thierry-Maxime Loriot und Franziska Stöhr eine Ansage, die es braucht in diesen gemein trügerischen Februartagen, an denen die Sonne tagsüber verlockend leuchtet, sich um 18 Uhr dann aber eben doch schon verabschiedet. Viktor & Rolf jagen all die Schwere, die auf unseren frühjahrsmüden Schultern liegt, davon. Es empfängt uns: eine Modepuppe, der ihr Kleid um die Ohren fliegt. Das Gewand steht Kopf bei dieser Kreation. Der Titel „Late Stage Capitalism Waltz“ verrät, dass hinter den Arbeiten der Niederländer immer mehr steckt als optischer Genuss. Die Modemacher tanzen ihn zwar mit, den verführerischen „Walzer des Spätkapitalismus“, aber sie tun’s als vogelwilde Harlekine – wirbeln über das spiegelglatte Parkett und reißen uns durch hintergründige Doppeldeutigkeiten aus unserem trägen Takt.

Dann sieht man von hinten zum Beispiel ein rosa Kleid, darauf etliche Tüllschleifchen. Entzückend. Doch würde sich die Modepuppe jetzt umdrehen, hätte sie eine unmissverständliche Botschaft, auf Hüfthöhe (!) platziert: „Go fuck yourself“, jedes Wort von Herzchen umrahmt. Bittersüßer Kommentar auf die verlogene Social-Media-Welt mit ihrer per Klick gedanken- und emotionslos verschenkten Herzchen-Liebe und ihrem derben, in die Tastatur gehackten Hass.

Kurator Thierry-Maxime Loriot, der bereits die grandiosen Ausstellungen zu Jean Paul Gaultier, Peter Lindbergh und Thierry Mugler verantwortete, hat als Herzstück der Schau, die morgen startet, einen Spiegelsaal angelegt. Hier lässt er die Puppen in ihren spektakulären Kreationen tanzen. Ein Fest für die Augen.

Immer wieder taucht in dieser rund 100 Arbeiten umfassenden Retrospektive der neonleuchtende Schriftzug „NO“ auf. Viktor & Rolfs Nein zu der Mode-Maschinerie mit ihren Materialschlachten, ihrem Zwang zum ewig Neuen, zu Absurditäten wie den Cruise Collections – Übergangsmode für stilvoll Reisende. Jede Saison der Kampf um Aufmerksamkeit im Fashion-Zirkus. Viktor & Rolf stechen daraus hervor. Ihre Mode entsteht nicht aufgrund dessen, was in der Saison zuvor gut verkauft wurde, sondern immer aufgrund einer Idee für ein neues kreatives Präsentationskonzept. Das sie dann fulminant umsetzen.

Mit Anfang 20 gewannen die 1969 geborenen Künstler den wichtigen Modewettbewerb in Hyères. Ehe sie die Laufstege diese Welt eroberten, waren sie bereits in Galerien und Museen zu sehen. Mit verspieltem Witz gehen diese Fashion Artists ihre Kreationen an. Lassen Kleider aus Bilderrahmen wachsen; amüsieren sich mit modernen Interpretationen royaler Gewänder über den bizarren Hype um alles Adelige.

Als ihr Geld in jungen Jahren noch nicht für das Engagement von 30 Models für eine Catwalk-Schau reichte, stellten Viktor & Rolf ein einziges Mannequin – Maggie Rizer – auf eine Drehscheibe. Zunächst im schlichten Kleid aus Jute, schon dieses Material eine Provokation im Haute-Couture-Betrieb. Wie einer lebendig gewordenen Matroschka-Puppe wurde Rizer nach und nach ein weiteres Kostüm übergezogen. Mit jeder Schicht, die die Designer drapierten, stieg die Begeisterung im Saal. Dass die zwei in die Schau selbst eingriffen: auch dies völlig neu und seither Teil ihrer Shows.

Immer geht es den Künstlern in dieser schnelllebigen Branche auch ums Bewahren. Deshalb wird aus jeder Kollektion ein ikonischer Look in einem visuellen Archiv festgehalten. Sie lassen Puppen anfertigen, die exakte Miniaturen des Original-Outfits tragen. Schon im 14. Jahrhundert ließ sich der Adel durch elegant ausstaffierte Püppchen über die Trends aus Paris informieren. Solche aufwendig gestalteten Poupées de Mode stehen nun auch in der Kunsthalle. Viktor & Rolf, diese großen Puppenspieler. Sie lassen auch unsere Gemüter wieder fröhlich tanzen.

Bis 6. Oktober

in der Kunsthalle München; täglich 10–20 Uhr.

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