Kästners Bilderzauberer

von Redaktion

Die Internationale Jugendbibliothek widmet Walter Trier eine Ausstellung

VON SIMONE DATTENBERGER

Am Anfang war das Bild – nicht das Wort! Zumindest, was den Zeichner Walter Trier und den Autor Erich Kästner angeht. Wir sehen immer erst diese gelbe, leere Fläche, über die ein Mann schnellen Schrittes auf die Häuser zusteuert. Links die Litfaßsäule, hinter der zwei Buben dem Kerl nachschauen. Das ist „Emil und die Detektive“. Eine andere Cover-Illustration als diese ist nicht mehr vorstellbar. In der Tat besitzen all die „Emils“, die sich in 59 Ländern tummeln, genau dieses Umschlagbild.

All das erfahren junge und alte Kinder in der Internationalen Jugendbibliothek im Schloss Blutenburg (IJB) durch Direktorin Christiane Raabe, die die Schau zu Walter Trier entwickelt hat. Die Bibliothek startet damit in ihr Programm zum Kästner-Jahr. Heute ist sein 125. Geburtstag, am 29. Juli sein 50. Todestag. Dieses Wochenende läuft eine öffentliche Tagung, eine Forschungsstelle wird eingerichtet, und Wolf Haas erhält den Kästner-Preis. Am 8. und 10. März gibt es für Kinder eine Matinée zur „Konferenz der Tiere“ mit Musikern des BR-Symphonieorchesters.

Trotz Kästner-Dominanz betont die Chefin, „den weitgehend vergessenen Trier ins Zentrum stellen zu wollen“. Sicher, sein Schicksal ist bis jetzt unbekannt. Wer aber jemals eine Illustration von ihm gesehen hat, bleibt davon geprägt: Man beachte nur den ausgreifend schlenkrigen Gang von Till Eulenspiegel, dessen Darstellung das Plakat ziert. Sie gehört zu den 60 Originalen, die die IJB besitzt. Es sind vor allem die farbsprühenden Blätter zu Kästners Klassiker-Nacherzählungen. Während Till seine Schlawinereien in einem spätmittelalterlichen Deutschland treibt (1938), ist Münchhausen mit seinen Schelmenstücken eher barock und ziemlich international unterwegs (1951). „Der gestiefelte Kater“ gehört ebenfalls zu den Schlitzohren, die wir im Original genießen, so wie die entzückend verspielte Meeres-Serie „The Jolly Steamer“ (1948), die ohne Kästner entstand.

Christiane Raabe steigt, obwohl sie dazu keine Zeichnungen hat, mit den Romanen von „Pünktchen und Anton“ über den „35. Mai“ bis zum „Doppelten Lottchen“ der Nachkriegszeit in die Präsentation ein. Das „Emil“-Cover gibt es – Selfie-freundlich – sogar als begehbare Kulisse. Auf Schautafeln umschlingen einander Informationen und Illustrationen. Peu à peu wird die politische Relevanz der Werke klar: Triers kahle gelbe Fläche erzählt durchaus etwas von der Vereinsamung in der Großstadt; auf dem Cover des „Fliegenden Klassenzimmers“ fehlt sein Schriftzug – 1933. „Emil und die drei Zwillinge“ kann 1935 nur noch im Ausland erscheinen.

Walter Trier wurde 1890 in Prag in einen großbürgerlichen jüdischen Haushalt geboren. Freiheit und Fantasie für die Kinder ist ihm das Wichtigste gewesen. Da ist er anders als Erich Kästner, der ein Lehrmeister sein wollte. Der Zeichner kam 1910 nach Berlin und arbeitete für Zeitschriften wie „Die Dame“ oder „Die lustigen Blätter“. Er ließ es sich mit Sport, Gesellschaft und Spielzeug-Sammelleidenschaft gut gehen.

1929 brachte eine Verlegerin ihn und Kästner, den gebürtigen Dresdner aus bescheidenen Verhältnissen, zusammen. Sie wollte moderne Kinderbücher ohne Betulichkeit. Die Mischung aus Kästner/Trier schlug ein. Die Nazis zerstörten die Erfolgsserie. Trier emigrierte 1935 nach London; später zog er nach Ontario, wo er 1951 starb. Kästner wurde verboten, blieb jedoch in Deutschland.

Shoah und Zweiter Weltkrieg waren für Kinder unbegreifbare Katastrophen. Die Journalistin und Autorin Jella Lepman (1891-1970) stemmte sich deswegen gegen Menschenhass – auch durch die Gründung der Internationalen Jugendbibliothek in München. Sie animierte Erich Kästner, mit einem Kinderbuch zu helfen. Dass „Die Konferenz der Tiere“ nicht ohne Walter Trier stattfinden konnte, war klar (1949). Nun ist sie das Herzstück der Präsentation. Die Szene mit zahllosen Viechern, Kinder-Bestimmern und einigen gehorsamen Politikern kleidet ein Turmzimmer aus: „Es geht um die Kinder.“ Real politisch werden die jungen Besucherinnen und Besucher heute. Wer möchte, schreibt seine Vorstellungen auf eine Postkarte an den Bundespräsidenten – die IJB sammelt und sendet sie an Frank-Walter Steinmeier.

Bis 22. September,

Mo.-Fr. 10-16 Uhr, Sa./So. 14-17 Uhr; Telefon 089/891 21 10.

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