Oper für fast alle

von Redaktion

Verdis „Aida“ als Spektakel in der Münchner Olympiahalle

VON TOBIAS HELL

Mit Superlativen wurde bei dieser „Aida“ nicht gespart. „Die größte Liebesgeschichte aller Zeiten“, so formuliert es der Veranstalter, tourt derzeit mit mehr als 250 Mitwirkenden durch die europäischen Sportarenen und verspricht alten wie neuen Opernfans ein Spektakel der Extraklasse, das Verona vor die eigene Haustür holt.

In der Münchner Olympiahalle ist da tatsächlich schon vor Vorstellungsbeginn die Aufregung spürbar. Die einen versuchen mit dem Fernglas, die Hieroglyphen auf den verzierten Tempelmauern zu entziffern, während andere sich für die Zeitreise ins alte Ägypten noch einen Cuba Libre in den Plastikbecher abfüllen lassen. Und sogar einige Stammgäste vom Staatsopern-Stehplatz sind in der Menge auszumachen, die sichtlich zufrieden die Palmen auf der Bühne erspähen und später beim bombastischen Triumphmarsch begeistert losjubeln.

Ohne Zweifel: Regisseurin Rian van Holland und Choreograf Jerôme Knols haben ganze Arbeit geleistet und lassen fürs „Mittendrin statt nur dabei“-Feeling auch diese Arena immer wieder kreativ bespielen. Mit imposanten Chor-Aufmärschen, perfekt einstudierten Massen-Choreografien und einer Feuer-Prozession. Nicht zu vergessen der mechanische Elefant, der im Finale vor der Pause für erstauntes Raunen sorgt, oder das quirlige Kinderballett, bei dem nicht nur den dazugehörenden Großeltern das Herz aufgeht.

Um es kurz zu machen: Das Auge bekommt hier alles geboten, was die Bayerische Staatsoper in ihrer kontrovers aufgenommenen Neudeutung des Verdi-Klassikers bewusst verweigerte. Eine „Aida“ für alle soll es sein. Leicht zugänglich, ohne Regie-Experimente und zum Glück auch ohne das lange übliche Blackfacing. Abgesehen davon jedoch ein exotisches Spektakel wie in guten alten Zeiten.

Was im Vergleich zu Münchens Opernhäusern allerdings relativ gesalzene Preise nach sich zog. Deshalb ist die Olympiahalle trotz zahlreicher Last-Minute-Rabatte, Valentinstags-Specials und Groupon-Aktionen alles andere als ausverkauftt. So ganz wollte sich das Motto „Oper für alle“ wohl nicht mit den Silber-, Gold- und Platin-VIP-Paketen jenseits der 200-Euro-Grenze vertragen. Hinter diesen glitzernden Namen verbergen sich neben einem Gratis-Programmheft (das Normalsterbliche für fünf Euro erwerben können) Arena-Sitze mit erweiterter Beinfreiheit. Und als zusätzliches Gimmick ein „Aida-Raumduft“, der das gewohnt durch die Halle wehende Aroma von Hot Dogs und Pommes mit orientalischen Gerüchen überdecken soll.

Die Ironie der Sache liegt allerdings darin, dass die günstigeren Plätze auf den Rängen bei diesem Event wohl nicht nur einen besseren Überblick garantieren, sondern auch das bessere musikalische Erlebnis. Denn durch das Bespielen der Arena finden sich die unten Sitzenden oft in einer akustischen Zwickmühle, bei der man die Stimmen einerseits ungefiltert neben sich hört, auf dem anderen Ohr aber immer noch eine ordentliche Brise aus den Lautsprecherboxen von vorn abbekommt. Dank dieses Echo-Effekts entsteht zuweilen der irritierende Eindruck, als würde die Titelheldin ihre Arien im Duett mit sich selbst singen. Und ebenso wenig hilft es, dass die Ton-Crew klar die Damen favorisiert, während die Herren wiederholt ins akustische Abseits gemischt werden. So hört man sogar die hinter der Bühne singende Priesterin präsenter als den Tenor vor dem Tempeltor.

Das Trio in den Hauptrollen entledigt sich seiner Aufgabe dennoch souverän. Nina Clausen und Martin Shalita lassen sich als Aida und Radamès von der Weite des Raumes nicht zur Kraftmeierei verleiten, vertrauen stattdessen auf die Mikros und entdecken in ihren beiden großen Duetten immer wieder lyrische Momente. Dass Verdi mehr sein kann als nur Spektakel, zeigt vor allem auch Sophia Maeno als Amneris, deren markant timbrierter Mezzo selbst bei dramatischen Ausbrüchen seine Wärme und damit eine gewisse Verletzlichkeit bewahrt. Und wer weiß, vielleicht ist der eine oder andere Opern-Novize hier ja tatsächlich neugierig geworden, auch abseits des Mega-Events mehr von solchen Facetten des Genres zu entdecken.

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